Von 'Unsicher' zu 'Das bin ich!'
Was bin ich? (1) - Mensch, 'Special', Unsichtbar
Was bin ich? (2) - Damals und der Anfang
Weiter geht’s mit diesem Versuch ein bisschen Ordnung in das Chaos in mir drin zu bringen. Ein Chaos, das ich scheinbar aus gutem Grund lange in mir eingeschlossen habe, zumindest habe ich jetzt teilweise den Eindruck...
Aber wenn ich darüber reden
möchte, es ''an die große Glocke'' hängen möchte, darf ich das
auch tun. Ich wollte das selber die längste Zeit nicht, aber seit
neuestem hat es sich eben falsch angefühlt, still zu sein und mich
irgendwie zu verstecken, etwas zu leben, das ich nicht bin.
Niemand muss das verstehen.
Niemand muss verstehen ''Warum ausgerechnet jetzt!? Und warum so?''.
Ich verstehe es selber nicht richtig, aber gerade ist es das, was es
möchte und ich glaube, das ist Grund genug.
Ein kleiner Flashback zu
der Zeit, als wirklich alles an diesem ganzen Zeug mich unsicher
gemacht hat:
Ich
glaube, das war etwa 2015? Ich könnte jetzt nachschauen, aber der
genaue Zeitpunkt und der genaue Zeitraum, der seitdem vergangen ist,
ist hier nicht das Wichtige, sondern eher, dass Zeit an sich
vergangen ist. Es ist ein Prozess,
alles an diesem Thema. Für mich zumindest. Und ich glaube, es ist
ein Prozess, der mich mein ganzes Leben lang begleiten wird. Das ist
okay.
Ich bin sowieso der Meinung, dass
man sich selbst nie vollständig kennen kann und man verändert sich
ja auch, unbewusst und bewusst. Für mich gehört sowas wie
Sexualität und Geschlechtsidentität auf jeden Fall mit zu dem, was
sich manchmal verändern kann. Für mich ist es nichts feststehendes
und kann auch gar nichts feststehendes sein. Aber gut, dass geht
jetzt schon wieder in eine ganz andere Richtung, als das, worum es
hier jetzt gerade gehen soll.
Meine ersten Gedanken waren
damals noch viel von Vorurteilen geprägt, auf deren Fallen ich auch
jetzt noch manchmal hereinfalle. Aber niemand ist perfekt. Solange
ich es mir bewusst mache und versuche daran zu arbeiten, passt das
schon.
Damals war es halt alles einfach
sehr neu für mich. Klar hatte ich von vielem irgendwie schon mal
gehört, von einigem sogar in der Schule. Aber selbst dort haben wir
uns nie viel damit beschäftigt. Es war immer nur ein Thema, das sehr
am Rand existiert hat, wo es meiner Meinung nach besonders bei
pubertierenden Menschen nicht hingehört. Es sollte ein wichtiges
Thema sein, damit die Chance da ist, sich damit auseinandersetzen zu
können.
Gut, 2015 war jetzt für mich eben
auch schon nach der Schule, aber hätte ich vorher mehr von dem Thema
gewusst, wäre ich sicher anders damit umgegangen, wie ich auch
bereits in dem letzten Blogpost erwähnt hatte.
Zunächst
war ich einfach nur neugierig bei dem Thema, weil es interessante,
neue Möglichkeiten
offenbarte. Schwule Charaktere und Beziehungen hatte ich zu dem
Zeitpunkt ohnehin schon sehr sehr liebgewonnen, zum Teil deshalb,
weil es was anderes als hetero ist und Homo-Pärchen kommen ja doch
dann und wann mal ein wenig am Rande in einigen nicht konkret Boys
Love oder Girls Love Geschichten vor. Es existiert also zumindest
auch irgendwie.
Aber
gut, Repräsentation ist halt auch nochmal so eine Sache für sich.
Der Mangel an Repräsentation
hat meine Unsicherheit auf jeden Fall sehr verstärkt. Vieles von
dem, was ich neu lernte und was mich irgendwie auch ansprach,
irgendetwas in mir traf, schien außerhalb von dem Ort, wo ich
darüber erfahren hatte, kaum zu existieren, kaum bekannt zu sein.
Und niemand kann mir erzählen, dass so etwas einen nicht
verunsichert!
Natürlich
habe ich mir selbst meine eigenen Gefühle dadurch nicht gleich
abgesprochen oder mich gleich als ''etwas besonderes'' gefühlt. Ich
war einfach nur irritiert
und habe nicht verstanden, warum diese Gefühle nicht mehr behandelt
werden, nicht mehr umgesetzt werden.
Es ist einfach so seltsam. Ich
kann das gar nicht richtig beschreiben.
Auf jeden Fall ist es von diesem
Standpunkt aus, nicht verwunderlich, dass ich das Gefühl hatte,
nicht darüber reden zu können und dass es sowieso niemand verstehen
würde. Ich verstand kaum selbst, was für Gefühle das waren und ich
verstehe es immer noch nicht ganz, wie oben bereits erwähnt. Ich
werde es nie ganz verstehen. Gefühle sind dafür viel zu komplex.
Aber ich kann es trotzdem immer wieder versuchen.
Ich habe auch tatsächlich
versucht, nicht zu viel darüber nachzudenken, weil es mir irgendwie
so anstrengend vorkam und ich mich selbst nicht irgendwie abstempeln
wollte. Ich wollte mich nicht irgendwie als etwas bezeichnen, dass
ich vielleicht gar nicht bin oder nicht einmal sein darf.
Das
ist auch noch einmal so eine Sache und ein sehr seltsames Problem.
Dieses Gefühl, dieser Gedanke etwas nicht sein zu dürfen, obwohl
man sich ganz offensichtlich so fühlt, als wäre man irgendetwas in
Richtung dieses Etwas.
Ich war und bin da sehr
''self-cautious'', wie ich es immer nennen. Selbst-vorsichtig,
selbst-bewusst im Sinne von mir dem, was ich tue/sage/was auch immer
so sehr bewusst zu sein, dass es mich verunsichert. Keine Ahnung, ob
das für irgendjemanden Sinn macht, aber so habe ich mich damals
gefühlt.
Keine
Ahnung, wie ich von dem Standpunkt aus dazu gekommen bin, trotzdem
ein Video darüber zu
machen und es hochzuladen. Ich habe mir dieses Video nicht nochmal
angeschaut und habe das momentan auch nicht vor, weil ich weiß, dass
da viel vorurteilhaftes Denken drin ist, aber nichtsdestotrotz waren
es damals meine ehrlichen Gefühle und Gedanken.
Ich
erwähne in dem Video zum Beispiel, dass ich finde, dass
mein Gesicht nicht zwangsweise irgendeinem Geschlecht zugewiesen
werden kann, weil es eben
einfach ein Gesicht ist. Ich erwähne, dass ich mich viel
mit männlichen Charakteren identifiziere und viel männliche
Charaktere cosplaye und das für
mich als Anzeichen sehe, eventuell genderfluid
zu sein. Zumindest habe ich das so in etwa in Erinnerung.
Ich glaube aber auch, dass ich
viel Blödsinn rede und sowieso ziemlich viel durcheinander quatsche,
weil ich mir nichts vorher aufgeschrieben hatte und allgemein das
Thema insgesamt noch sehr frisch für mich war.
Am
Ende des Videos komme ich aber tatsächlich zu einem kleinen
Ergebnis: Ich bin mir unsicher, was ich bin.
Und hey, das ist ja schon mal ein erster, ganz guter Schritt!
Es ist ja auch gar nicht so, dass
ich irgendetwas hätte überstürzen müssen damals. Das muss ich
auch jetzt nicht. Das muss ich allgemein nie. Vielleicht zählt dazu
auch, dass ich dieses Video (bzw Videos, es sind insgesamt 3) nicht
hätte machen müssen. Aber ich wollte es. Ich wollte damals darüber
reden, weil es mich alles so verunsichert hat und das Internet war
und ist für mich der Ort, wo man einfach reden kann, wenn man
möchte, ohne direkt irgendetwas zurückzubekommen oder das zu
erwarten. Man redet ein bisschen ins Leere, wie beim Schreiben in ein
Tagebuch, mit dem Zusatz, dass ganz vielleicht doch irgendwie was
zurückkommt und einem die Unsicherheit ein bisschen genommen wird.
Das habe ich damals gebraucht und
aus dem Grund habe ich über meine Unsicherheit geredet.
*
Heute:
Seit ich doch vor gar nicht so vielen Tagen auf Twitter darüber
geredet habe, was ich denn nun wirklich bin und es auch konkret
gemacht und Labels benannt habe, obwohl ich mich dagegen bisher sehr
gewehrt habe, bin ich tatsächlich zumindest in einem gewissen
Online-Kreis und auch unter meinen meisten Freunden geoutet.
Ich
finde immer noch, dass das sehr seltsam klingt und ja, dieses Outing
selber hat sich sehr seltsam angefühlt, weil es irgendwie... aus
einer komischen Motivation heraus entstanden ist und ich das auch
sehr deutlich währenddessen gefühlt habe.
Jetzt aber mal vom eigentlichen
Auslöser abgesehen, habe ich mich auch davor schon angefangen zu
fühlen, als würde ich einen Teil von mir verbergen und sogar
verdrängen. Ich habe das in diesen Blogposts ja schon mehrfach
leicht angeschnitten. Irgendwie ist es genau dieses Gefühl, dass
Outings in gewisser Weise für viele Menschen und auch irgendwo für
und in unserer Gesellschaft nötig macht.
Es
ist nicht nur ein ''als das bezeichne ich mich nun'' oder das
Klarstellen von ''das bin ich wirklich'' (und nicht das, was alle
sonst immer wahrscheinlich von mir gedacht haben), sondern auch eine
Art Ausbruch. Und es ist schon
fast unheimlich, wie gut ich dieses Gefühl inzwischen nachvollziehen
kann.
Ich
komme mir ein bisschen so vor, als wären die ganze Zeit
unsichtbare Gitterstäbe um mich herum gewesen
und zum Teil sind die sogar immer noch da, aber jetzt kann ich sie
sehr viel deutlicher sehen, nehme sie bewusster wahr und habe ein
paar von ihnen bereits verbogen und arbeite semi-aktiv daran, auch
die andere Stäbe mehr und mehr zu verbiegen, bis sie irgendwann
vielleicht ganz für mich verschwinden werden. (Was eigentlich so gut
wie unmöglich sein sollte, zumindest beim momentanen Stand
beziehungsweise der momentanen Sicht der größten Teile der
Gesellschaft auf dieses ganze Thema.)
Der Punkt ist, dass ich mich
einfach nicht länger von diesen Gitterstäben einengen lassen
möchte, in keinster Weise. Ich will mich nicht mehr selbst klein
reden. Ich will mich nicht mehr verstecken. I don't want to water
myself down anymore. (Es gibt keine gute Übersetzung für ''to water
down'' im Deutschen.)
Ich
will einfach ich sein können und mein Gott, wenn ich durch dieses
offene darüber Reden als ''Du willst doch nur Aufmerksamkeit!'' oder
''Du willst doch nur was besonderes sein!'' betitelt werde, dann
bitte. Ich war wirklich lange genug still und unsichtbar.
Ich habe mich lange genug nicht getraut, meine Gefühle richtig in
Worte zu fassen.
Ich will nicht mehr zögern oder
mich jedes Mal fragen ''Wie viel darf ich sagen, bevor ich seltsam
angeschaut werde oder anders komisch reagiert wird?''. Ich will diese
Unsicherheit nicht mehr mit mir rumtragen müssen.
Denn
ich selber komme gut damit klar, wer ich bin.
Ja, klar, das ganze Thema ist kompliziert und verwirrend und es
berührt sehr sehr intime Dinge, über die man oftmals nicht
nachdenken will und die man auch oft gar nicht teilen möchte, was
auch vollkommen okay ist. Das hier ist meine Art damit umzugehen.
Jeder kann für sich selbst entscheiden, was das Beste ist, womit man
klarkommt, womit man leben kann. Da spielen so viele Faktoren hinein
und es ist und bleibt eben etwas sehr Persönliches, das teilweise
wirklich unnötig ausgeschlachtet wird.
Aber nichtsdestotrotz oder gerade
deswegen hat jeder, der es für sich als in irgendeiner Weise gut
erachtet, das Recht, sich offen über das Thema zu äußern und ich
möchte das. Gott, ich wollte das schon so unendlich lange und ich
bin froh, es endlich tun zu können, so unendlich froh.
Also
was ist mein Stand der Dinge jetzt und hier in diesem
Moment?
Ich
bin immer noch ziemlich questioning
in manchen Punkten und uff, Labels sind... hm.
Es ist einfach alles so komplex, dass ich es schwer finde, es in
einem Wort zusammen zu fassen. Und als ich es dann auf Twitter getan
habe, weil es doch zur Klarheit irgendwie nötig war und ich auch
keine Angst vor dieser Benennung, vor diesen Labels haben möchte,
hatte ich auf einmal eine Liste von Begriffen und ja...
Nein, ich möchte nicht ''alles
mitnehmen''. Es gibt da einfach verschiedene Kategorien, die man alle
irgendwie für sich beschreiben kann oder in einem Wort benennen
kann, wenn man das möchte. Diese Kategorien und das, was man in
Bezug auf sie fühlt, existiert aber natürlich auch ohne Bewusstsein
für diese Kategorie, die Begriffe aus dieser und auf jeden Fall auch
ohne, dass seine Gefühle mit einem Wort für sich benennt.
Das Benennen von Begriffen, zu
sagen ''ich bin das'', ändert im Grunde nichts an der Existenz der
Gefühle, die sowieso da sind. Darauf werde ich in meinem letzten
Blogpost zu diesem Thema, indem ich dann auch endlich mal genau auf
die Labels, mit denen ich mich am meisten identifizieren kann,
eingehen.
Das,
was ich jetzt eben erklärt habe, ist auch der Grund, warum ich mit
diesem Benennen der Labels bis ganz zum Schluss gewartet habe. Ich
will mich natürlich auch damit auseinandersetzen, weil es schon
irgendwo auch zum Kern der ganzen Geschichte gehört, die Frage ist
immerhin „Was bin ich?“. Aber da diese Frage sehr eng
mit „Wer bin ich?“ verknüpft
ist, sollte jedem klar sein, dass die Antwort nicht ganz so leicht
ist, wie man es vielleicht gerne hätte.
Vor
allem wollte ich aber auch zeigen, dass es eben ein Prozess ist und
zur Identitätsentwicklung
dazugehört. Es ist etwas, das so oder so stattfindet, nur sollte
unsere Gesellschaft lernen, sehr viel besser und offener damit
umzugehen. Dann muss auch niemand mehr rumschreien „ICH BIN [hier
Label einfügen]!“ Wobei das sicherlich trotzdem Leute tun werden,
was auch okay ist. Jeder eben so, wie er möchte.
Mein neuer Status
ist also: Hey, die Leute, mit denen ich engen Kontakt habe, wissen
jetzt auch von dieser Seite von mir und lieben mich nach wie vor und
ich habe diese Angst jetzt zumindest mal in der Hinsicht besiegt,
yay! Und online wissen theoretisch auch alle Bescheid und ich kann
jetzt Stück für Stück mich mehr darauf konzentrieren, meine
Unsicherheiten zu überwinden.
Fazit:
- Vor einiger Zeit, als ich angefangen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, waren da noch sehr viele Vorurteile in meinem Kopf, die meine Unsicherheiten noch verschlimmert haben. Aber immerhin wurde mir schon mal klar, dass ich nicht weiß, was ich bin.
- In letzter Zeit habe ich mich verstärkt gefühlt, als wäre ich oder zumindest ein doch nicht unbedeutender Teil von mir gefangen und es wäre an der Zeit, mich zu befreien und mich nicht länger selbst einzuschränken und klein zu reden.
- Ich habe mich geoutet. Also zumindest bei meinen engsten Freunden und online auf Twitter, Youtube und jetzt auch hier. Ich bin sehr sehr froh darüber, endlich über dieses Thema reden zu können. Es ist ein befreiendes Gefühl.