Dienstag, 29. Mai 2018

Was bin ich? (2)

Damals und der Anfang


Hi an alle, die noch dabei sind oder gerade neu dazukommen oder was auch immer. Hier geht’s zum ersten Post, wo ihr gerne vorbeischauen könnt, wenn ihr wissen wollt, was hier eigentlich los ist oder zumindest nochmal das kleine Fazit am Ende nachschauen könnt, falls ihr euch nicht mehr richtig erinnert.
Dieser erste Post war ja als eine kleine Einführung beziehungsweise Hinführung zu dieser ganzen Geschichte hier gedacht. Wohin genau das alles hier noch führen wird, weiß ich nicht ganz genau, da ich nicht weiß, wohin genau meine Gedanken mich noch tragen werden. Aber ein paar Posts werden es schon werden.
In diesem Post jetzt wird es darum gehen, wie es war, bevor ich angefangen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und wie und wann genau ich damit angefangen habe, mich ein bisschen damit zu beschäftigen. Falls sich hier jetzt wer fragt „Welches Thema?“ - Es geht um Geschlechtsidentität und auch ein bisschen um sexuelle Orientierung. Zweites ist noch einmal ein etwas anderes Thema und ich weiß noch nicht genau, inwieweit ich mich um beides oder nur um ersteres kümmern werde, wahrscheinlich wird es eine etwas wirre Mischung.

Also... Damals...
In meinem Kopf fängt dieses 'Damals' in der Grundschule an, aber im Prinzip meint es einfach alles, was war, bevor dieses Thema angefangen hat, eine gewisse Rolle in meinem Leben zu spielen. Warum genau mein Kopf da in der Grundschule anfängt, ist mir jetzt selber auch ein Rätsel, aber na ja.
Sinnvoller ist, denke ich, beim Wesentlichen anzufangen und das ist erst einmal Folgendes: Sehr lange habe ich mir keine Gedanken über jegliche Themen in die Richtung gemacht, also weder was Geschlechtsidentität noch was sexuelle Orientierung und all die Nuancen, die noch zu beidem dazugehören, betrifft. Es gab für mich einfach keinen wirklichen Grund dafür, denke ich.

Klar könnte ich hier jetzt auf irgendwelche Kleinigkeiten eingehen und es ist einfach Fakt, das einem schon von Grund an beigebracht wird 'Du bist ein Junge' oder 'Du bist ein Mädchen', genauso wie Heterosexualität als die Norm, das Normale, das Übliche dargestellt wird.
Unsere Gesellschaft ist voll davon. Alles ist von diesen zwei Rollenbildern und Heteronormativität durchzogen und vieles davon fällt einem erst auf, wenn man die Augen dafür öffnet. Als Kind hat man dafür eher weniger den Blick und auch nicht den Kopf und sehr sehr oft auch einfach gar nicht die Möglichkeit oder Chance, würde ich jetzt mal behaupten. Zumindest gehe ich davon aus, dass es mir so ging.

Das ist der entscheidende Punkt: Junge oder Mädchen und hetero zu sein ist die Selbstverständlichkeit und alles, was damit zusammenhängt. Da gibt es dann wirklich krasse Extreme, wenn diese Rollenbilder und Heteronormativität so sehr verinnerlicht sind, dass sie einem fast wie ein Regelwerk vorkommen und eben schlicht und ergreifend als die Normalität dargestellt werden und alles, was davon abweicht, ist „unnormal“, anders, selten, seltsam.
Aber auch ohne gleich zu sehr in die Extreme zu gehen beeinflussen diese Rollenbilder und die Heteronormativität sehr sehr viel, eben halt unbewusst und nebenbei. Unsere Gesellschaft bessert sich in der Hinsicht ja momentan teilweise ein wenig oder versucht es zumindest oder so. Ganz im Bilde oder hinterher bin ich da nicht.

Rückblickend und auch wenn ich daran denke, wie es wahrscheinlich heute doch meistens noch ist und wohl auch noch eine Weile bleiben wird, macht es mich sehr traurig, wie mensch eingeschränkt wird und in bestimmte Rollen gezwungen und gedrängt wird, weil keine Offenheit besteht und gar nicht richtig die Möglichkeit geboten wird, sich eventuell in andere Richtungen zu orientieren und andere Richtungen zu sehen.
Gut, klar könnte mensch hier jetzt argumentieren, dass mensch sich ja offenbar gar nicht mit etwas auseinandersetzen will und dementsprechend auch nicht braucht, wenn keine Fragen in die betreffende Richtung gestellt werden. Mensch könnte, aber es wäre sehr blödsinnig. Wie will mensch bitte Fragen zu einem Thema haben, wenn das Thema demjenigen gar nicht bekannt ist!?

Nun zu mir: Hart in irgendetwas hineingezwungen habe ich mich nie gefühlt. Wie schon geschrieben habe ich lange lange Zeit nicht einmal irgendetwas hinterfragt und zu einem gewissen Grad ist das auch völlig normal. Gerade als Kind hat mensch doch eher anderes im Kopf und auch sonst passiert ja viel anderer Blödsinn. Die Identität entwickelt sich da doch vor allem nebenbei und daran an sich ist ja auch absolut nichts falsch oder unnormal oder was auch immer.
Es geht vor allem darum, wie selbstverständlich alle als Junge oder Mädchen definiert werden und danach in gewisser Weise zu leben haben, erzogen werden und so weiter. Es geht vor allem darum, dass etwas als gegeben hingestellt wird. Hier natürlich auch wieder bezogen auf Heteronormativität.

In meinem direkten Umfeld, gerade von meiner Familie habe ich mich nicht dazu gezwungen gefühlt, irgendetwas zu sein oder zu tun oder was auch immer. Ich habe mit Barbie gespielt, ja. Aber auch mit Playmobil und diesem einfachen Kinder-Lego. Ich habe aber auch mal mit Autos gespielt und so weiter und so fort. Gerade als Kind habe ich das nicht als irgendeinen Zwang angesehen, wobei es schon sein kann, dass ich manchmal auch gerne mit irgendwelchen 'Jungsspielzeugen' gespielt hätte, die aber einfach als 'Jungsspielzeuge' beworben wurden und ich deshalb das Gefühl hatte, ich dürfte das nicht. Aber konkret kann ich mich da jetzt an nichts erinnern.
Woran ich mich sehr gut erinnern kann: Der kleine Bruder von meiner besten Freundin hat damals auch mit Barbies gespielt und so getan, als wären sie Kens und er hatte auch eine Baby Puppe und hat mit der gespielt. Das war völlig normal, weil es völlig normal ist. Es sind Spielzeuge, meine Güte!

An dieser Spielzeugfront sind sich ja auch eigentlich inzwischen die meisten Leute sehr einig, dass es absoluter Blödsinn ist und Kinder mit allem spielen dürfen und es da kein 'Mädchen-' oder 'Jungenspielzeug' zu geben braucht. Na ja, zumindest in der Theorie sind sich da immer alle recht einig. In der Praxis sieht das zumindest meinem Gefühl nach dann doch wieder sehr anders aus. Ähnliche Geschichten was Kleidung und die Farben dieser betrifft.
Das sind alles so festgefahrene Klischeebilder, die in den Köpfen festhängen und ugh, es ist einfach so bescheuert.

Dies ist auch der Punkt, wo ich jetzt mit der Frage kommen kann „Was ist denn 'ein Junge sein' und was ist 'ein Mädchen sein'?“. Die meiste Leute kommen da ja mit Der Biologie!!!. Und ja, es gibt biologische Unterschiede – zwischen jedem einzelnen Menschen. 'Mann' und 'Frau' mögen da zwei Kategorien sein, die in einem großen Umfang funktionieren und auch irgendwo sinnig sind, weil das ja schon immer so gemacht wurde und alle das ja so machen und ja!!!.
Aber Biologie ist nicht so einfach, nie. Natürlich gibt es da bestimmte Organe, die für bestimmtes zuständig sind und bestimmte Hormone, die bestimmte Dinge tun. Das ist aber an sich auch schon alles. In der Hinsicht kann man es sich so einfach machen, ja. Der Körper tut Dinge und bei unterschiedlichen Menschen tut er unterschiedliche Dinge. Fertig. Diese Dinge allerdings sind sehr komplex und lassen sich nicht einfach damit abtun zu sagen 'Das ist bei einer Frau/einem Mädchen so' oder 'Das ist bei einem Mann/einem Jungen so'. Denn nein. Es ist immer unterschiedlich, weil es bei jedem anders ist.

Ich merke jetzt schon, wie ich mich im Überall und Nirgendwo verliere. Es ist nicht meine Aufgabe und nicht mein Ziel, hier zu unterrichten oder aufzuklären oder was auch immer. Andere können das sehr viel besser. Googelt einfach mal.
Was ich hier mit diesen Posts möchte, ist meine Geschichte erzählen, meine Sicht, meine Meinung. Zwangsweise fließen da halt solche Sachen mit rein, weil sie damit zusammenhängen. Aber ich erhebe hier auf keinen Fall Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit oder vollkommene Richtigkeit oder irgendetwas in diese Richtung.

Um nochmal kurz zusammenzufassen und die eigentliche Sache beim Namen zu nennen: Ich habe lange Zeit angenommen, ich wäre eine heterosexuelle, weibliche Person. Und ich finde, das allein diese Annahme, ob sie nun für eine gewisse Zeit gestimmt hat oder nicht, schon irgendwie bedenklich ist und zwar aus den Gründen, die ich bereits eben genannt habe. Es ist einfach problematisch, dass einem diese zwei Rollenbilder und das Hetero Sein, wie sehr sie sich das momentan auch eher in eine sich auflösende Richtung bewegen mag, einfach als gegeben gelten, was sie nicht sind.

'Mann' und 'Frau' sind Bezeichnungen und Rollenbilder, die wir Menschen als Gesellschaft erfunden und geprägt haben. Sie mögen hier und dort auf biologischen Dingen beruhen, aber es ist alles sehr vereinfacht und diesen Rollenbildern dienlich gemacht. An sich hat das, was wir sind, keinen Namen. Es ist einfach so, wie es ist und wir können daraus machen, was auch immer wir daraus machen wollen.
Ähnliches gilt für die sexuelle Orientierung. Wir haben Namen dafür und die haben bis zu einem gewissen Grad ihre Berechtigung, aber letztendlich kommt es immer darauf an, was diese Namen für uns bedeuten und was wir daraus machen.

Hier könnte ich jetzt über Labels reden, aber dafür ist es noch etwas zu früh. Das wollte ich eher gegen Ende machen und wo ich jetzt so darüber nachdenke, kommt vielleicht nur noch ein Post, in dem ich meinen 'Jetzt'-Zustand erzählen würde.

Aber jetzt erstmal zum Anfang: Dadurch, dass ich selber diese Selbstverständlichkeit von Mann und Frau und allgemein Heteronormativität so sehr verinnerlicht hatte, habe ich sehr lange angenommen, ich wäre einfach ein heterosexuelles Mädchen, was an sich absolut kein Problem ist, wie bereits erwähnt. Und es kann gut sein, ich vermute es ist so, dass ich einfach die meiste Zeit meines Lebens ein heterosexuelles Mädchen war.
Gut, über den heterosexuellen Aspekt lässt sich vielleicht noch streiten, aber sexuelle Anziehung und allgemein mein Empfinden von Attraktivität gegenüber anderen und Sexuelles insgesamt sind noch einmal ein ganz ganz anderes Thema, quasi noch einmal einiges an Unterpunkten unter der Bezeichnung, die so allgemein als Sexualität verstanden wird.

Egal, auch darum geht es gerade gar nicht, sondern darum wie ich mich selber sehr lange wahrgenommen habe, weil ich einfach dachte, ich würde der Norm entsprechen und wäre 'nichts besonderes'. Was ich auch nicht bin. Nur weil der Großteil etwas ist, heißt es nicht, dass ich 'etwas besonderes' bin, nur weil ich nicht dieses Etwas bin, das die meisten sind. Ich bin einfach ich und ich bin mir ziemlich sicher, dass es niemanden gibt, der in allen Punkten so ist, wie der Großteil ist. Wir sind ja trotzdem alle individuelle Menschen, als was auch immer man sich identifizieren mag.

Bei mir war es einfach so, dass ich zwar natürlich irgendwo von der Möglichkeit wusste, dass es auch anderes gibt als heterosexuell und Mann oder Frau zu sein. Aber ich habe aus irgendeinem Grund gedacht, dass ich dafür irgendeine dramatische Geschichte brauchen würde oder sowas in der Art. Fragt nicht, was damals in meinem Kopf vorging. Es hat mir vor allem verunsichert, weil so gut wie nirgendwo direkt darüber informiert wurde und mensch sich alles irgendwie zusammensammeln und zusammenreimen muss, was zwangsläufig zu so Blödsinn wie 'Ich kann das ja nur sein, wenn mir auch irgendwas passiert ist' führt.
Die Sexualität ist eine Sache, da habe ich einfach irgendwann gemerkt, dass es nicht so ist, wie ich immer dachte und konnte das dann auch ziemlich schnell akzeptieren und habe mich deshalb auch nie extrem seltsam oder unsicher oder ähnliches gefühlt. Das ist vielleicht auch eher eine Geschichte für einen anderen Tag und einen anderen Post.
Was meine Geschlechtsidentität betrifft allerdings... Sobald ich wusste, dass da Dinge auch anders sein können, hat sich so viel Unsicherheit und Angst in mir aufgebaut, dass es mich schon irgendwo ein wenig zerfressen hat.

Ich habe kaum mit jemandem über das ganze Thema gesprochen, weil ich mich nicht getraut habe und sowieso viel zu oft bei Dingen, die andere nicht ganz nachvollziehen können, auf großes Desinteresse und mehr Unverständnis als alles andere gestoßen bin und gerade weil mich das alles so verunsichert und irgendwo beängstigt hat, wollte ich auch gar nicht wirklich darüber reden, sondern es lieber mit mir selber ausmachen.
An sich ist das ja auch absolut keine schlechte Idee. Im Leben macht mensch vieles mit sich selbst aus, manchmal zu vieles und vielleicht hätte ich schon sehr viel früher mal über dieses Thema reden sollen. Zumindest hätte ich mir sehr gewünscht, dass jemand schon früher mal über dieses Thema geredet hätte. Das hätte einiges erleichtert und mich weitaus weniger seltsam fühlen lassen.

So habe ich mich recht chaotisch durch verstreute Infos auf Twitter ein bisschen informiert und durch meine Offenheit dann gedanklich mehr und mehr mit der ganzen Geschichte beschäftigt. Das war keine unbedingt schlechte Methode, weil ich es eigentlich ganz schön finde, immer mal wieder Denkanstöße zu bekommen und das Auseinandersetzen mit diesen dann so nebenher laufen zu lassen.
Ich habe ja im ersten Post erwähnt gehabt, dass es eben keine so mega krass große Sache für mich ist und das war es am Anfang sogar noch viel weniger. Ich war einfach vor allem neugierig und je mehr ich gelernt und erfahren habe umso mehr habe ich auch auf mich bezogen darüber nachgedacht und nach und nach hat sich mein Bild von mir selbst verändert.

Wenn ich die Infos jetzt irgendwo anders her gehabt hätte, wäre diese Entwicklung bestimmt ähnlich verlaufen. Es hätte auch seine Zeit gebraucht und mir wäre vieles im Nachhinein aufgefallen. Aber die Unsicherheit und leise Angst wären eventuell weggefallen. Sowieso hätte ich mich selber weniger mit Vorurteilen konfrontiert sehen und belasten müssen, wovon immer noch sehr sehr viel vorhanden ist und wohl auch mein Leben lang vorhanden sein wird.
Aber Vorurteile sind eine Sache. Es wird immer gegen alles mögliche Vorurteile geben, weil es immer uninformierte und sture Menschen geben wird. Mit Vorurteilen an sich muss mensch eben klarkommen und ich komme mit ihnen klar. Ich bin und mag und tue ja sowieso viel zu oft Dinge, wofür mir lauter Vorurteile in den Schoß gelegt oder gegen den Kopf geworfen werden. Das ist halt so. Es ist nicht gut, aber na ja.

Uninformiertheit, Verschlossenheit und von Grund auf falsche Ansichten, die als Wissen und Fakt hingestellt werden – das ist es vor allem, was mich aufregt und wohl auch, weshalb ich mich mit dieser ganzen Sache so schwer tue. Ich habe absolut nichts dagegen, Leute, die noch nie irgendetwas von anderen Möglichkeiten gehört haben oder allgemein wenig über das Thema wissen, Dinge zu erklären. Ich erkläre furchtbar gerne Dinge, vor allem wenn es etwas ist, mit dem ich mich selber auf einer intensiveren Ebene auseinandersetze.
Es ist jedes Mal so schade, wenn andere dafür nicht offen sind. Es ist schade, dass unsere Gesellschaft einfach in vielerlei Hinsicht bei diesem Thema so schrecklich festgefahren ist.

Aber dadurch, dass ich durch Twitter so vieles auf eine so angenehme Weise in meinem ganz eigenen Tempo zu dem Thema lernen konnte, bekomme ich von den gleichen Leuten und einigen, die seitdem hinzugekommen sind, auch immer sehr schöne, fortschrittliche Dinge mit, die mich wiederum hoffen lassen, dass irgendwann die Akzeptanz und das Verständnis so groß ist, dass niemand mehr diese Unsicherheit fühlen muss, die das Ganze für mich mit sich gebracht und in mir ausgelöst hat.

Fazit:
  1. Ich dachte die längste Zeit meines Leben, dass ich ein „stinknormales“ heterosexuelles Mädchen war, weil ich es einfach nicht besser wusste und von anderen Möglichkeiten so gut wie keine Ahnung hatte und mich teilweise nicht getraut habe, zu denken, dass es bei mir ganz anders sein könnte, als das, was als Norm dargestellt und vorgegeben wird.
  2. Aus verschiedenen Gründen habe ich dieses ganze Geschlechtsidentitätsthema vor allem mit mir selbst ausgemacht, nachdem ich durch Twitter erfahren habe, dass es da sehr viel mehr als nur 'Mann' und 'Frau' gibt. Dadurch hat sich meine Unsicherheit bezüglich diesem Thema sehr verstärkt, bis sich sogar eine gewisse Angst entwickelt hat.
  3. Ich wünsche mir so sehr, dass unsere Gesellschaft offener und informierender, aufklärender mit dem ganzen Thema umgeht, sodass Unsicherheiten und Ängste entweder gar nicht erst entstehen oder zumindest nicht verdrängt werden müssen, weil einen doch sowieso niemand zu verstehen scheint.