Donnerstag, 21. Januar 2016

21.01.2016 - Zwei Zuhause

Dear Sweet Heart.

Ich wusste schon seit einer Weile, dass ich ausziehen wollte. Es war einfach ein tief in mir verwurzeltes Bedürfnis. Es war nicht unbedingt so, dass ich von Zuhause ganz unbedingt weg wollte. Ich habe mich dort gut gefühlt und hatte immer meine Familie um mich. Es war schön dort. Es ist noch immer schön dort in Bremen, meiner Heimatstadt.
Aber irgendwie habe ich einfach gefühlt, dass dort nicht meine Zukunft liegt. Seit ich wusste, dass ich sehr gerne in einem Verlag als Lektorin oder Übersetzerin oder zumindest was in die Richtung arbeiten würde, stand für mich schon immer fest, dass ich wegziehen würde.
Dass ich das jemals wirklich tun würde...

Ich glaube, ich habe das noch immer nicht richtig begriffen. Es war schon im Oktober, also vor über drei, fast vier Monaten. Wie kann ich das nach wie vor nicht richtig realisiert haben?
Wobei, ob realisieren für das, was ich fühle, überhaupt das richtige Wort ist... Ich habe ja schon irgendwie erkannt, dass in Frankfurt zu leben und zu studieren jetzt meine Realität ist und ich bin daran auch schon seit einer ganzen Weile gewöhnt, aber... Es ist irgendwie, als könnte ich nicht die ganze Tragweite dieser Entscheidung erfassen, als wäre es mir nicht wirklich möglich zu verstehen, was das Alles eigentlich wirklich bedeutet.
Vielleicht werde ich das nie. Vielleicht werde ich es nie ganz verstehen. Vielleicht werde ich nie irgendetwas ganz verstehen. Ich denke, das geht gar nicht. Man versteht immer nur Teile von etwas, aber nie das Ganze, ein Teil bleibt immer im Verborgenen, im Schatten.

Auch als ich über Weihnachten wieder in meiner Heimat Bremen war, konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, was los war. Ich kann es einfach nicht begreifen. Es ist so abstrakt, so seltsam. All das, was ich in gewisser Weise zurückgelassen habe...
Es ist noch alles da. Meine Familie ist noch da. Der Kater ist noch da. Das Haus, in dem ich so lange gelebt habe, ist noch da. Mein Zimmer ist noch da. Es ist alles noch da.
Nichts hat sich verändert. Und gleichzeitig ist einfach alles anders. Ich habe mich verändert. Fast ohne es zu bemerken, habe ich mich verändert und so vieles einfach so hinter mir gelassen.

Ich habe es geschafft, meine Familie loszulassen. Natürlich sind sie alle noch da und ich brauche und liebe sie auch und das alles, aber... Sie sind nicht mehr ein solch großer Bestandteil meines Alltagslebens. Sie sind fast gar kein Bestandteil meines Alltagslebens mehr, solange ich in Frankfurt bin. Frankfurt, das jetzt mein Zuhause ist, mein zweites Zuhause.

Es ist so seltsam, wenn ich daran denke, wie ich überhaupt in Frankfurt gelandet bin. Was alles passieren musste, damit ich heute, jetzt gerade in Frankfurt und nicht irgendwo anders, vielleicht sogar noch in Bremen, bin. Es ist soweit weg irgendwie und doch weiß ich das Alles noch ganz genau und es ist fast, als wäre es noch gar nicht passiert, als würde es erst passieren oder als wäre es eine Geschichte, die ich gelesen habe...
Ich kann das nicht richtig beschreiben.

Irgendwie denke ich ja schon, dass es sowas wie Schicksal gewesen ist, dass mich letztendlich hier nach Frankfurt gebracht hat. Es gibt Dinge, die passiert sind, die ich mir nicht anders erklären kann und wenn ich erst daran denke, wie all diese Dinge zusammenhängen. Es können nicht bloß Zufälle sein. Das ist mir irgendwie zu verrückt, verrückter als an Schicksal zu glauben.
Ich habe wirklich das Gefühl, hier in Frankfurt sein zu müssen. Ich weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich bereue es kein bisschen. Hier bin ich meinen Träumen, meinen Zielen so viel näher und es ist zwar immer noch ein harter Weg und es liegt viel Arbeit vor mir, aber ich glaube an mich selbst. Sonst wäre ich nicht hier. Wenn ich nicht an mich selbst glauben würde, wäre ich niemals hier.

Trotzdem ist es seltsam. Es ist alles so seltsam!
Manchmal habe ich das Gefühl, ich wäre nach wie vor das unsichere Mädchen, das sich nicht traut irgendetwas alleine zu tun, weil sie sich viel zu sehr auf andere verlässt und von anderen abhängig macht. Zum Teil bin ich das auch immer noch und werde es immer bleiben, weil es ein Teil von mir ist.
Aber ich bin so sehr gewachsen, über mich hinausgewachsen, bin so viel stärker geworden! Ich habe mich von meiner Unsicherheit nicht beherrschen lassen. Ich habe Erfahrungen gemacht, die mich gelehrt haben, dass ich mich letztendlich eigentlich nur auf mich selbst verlassen kann, wie hart das auch klingt. Aber darauf baut eine ganze Menge meiner Verhaltens- und Gefühlsweisen auf. Es ist das, was es mir möglich gemacht hat, jetzt hier in Frankfurt zu sein und meinen Träumen näher zu kommen.

Dennoch ist da Angst. Wie richtig sich das Ganze auch anfühlt, wie richtig es auch ist, ich habe trotzdem Angst. Ich habe Angst vor so vielem! Vor allem eigentlich. Ich bin vielleicht stärker, aber ich bin immer noch schwach. Im Herzen bin ich schwach. Und ja, diese Schwäche ist auch meine Stärke und ich weiß, wie ich mit ihr umzugehen habe, aber manchmal komme ich nicht dagegen an und ich fürchte einfach, dass es Dinge gibt, die ich selbst mit meiner Stärke, meiner Willenskraft, meinem Glauben an mich selbst nicht besiegen kann.

Ein Teil von mir, der mal sehr groß war und es immer noch in gewisser Weise ist, liebt die Sicherheit mehr als alles andere. Ich habe gelernt, mich auf Risiken einzulassen und ich weiß, dass sie gut und wichtig und auch toll sind, aber hin und wieder überkommt mich dieses drückende Gefühl, mich zu verstecken, mich von der Außenwelt abzuschotten, sodass ich mit nichts konfrontiert werden kann, dass mich in irgendeiner Weise überfordert. Da ist noch immer dieses verschreckte, kleine Kind in mir.

Dieses Kind möchte zurück nach Bremen. Es wollte dort bleiben, als ich über Weihnachten da war. Es wollte nicht weg. Es hat sich gut, umsorgt, behütet dort gefühlt. Dort war es in Sicherheit. Dort gab es kaum Dinge aus dieser furchtbaren Erwachsenenwelt, mit denen es klar kommen musste.
Aber selbst dieses Kind weiß, dass es sich mit diesen Dingen auseinandersetzen muss, dass es nicht davonlaufen kann und das will es auch gar nicht. Das Kind mochte auch stark, in gewisser Weise erwachsen sein, die Sicherheit hinter sich lassen und sich ins Abenteuer begeben.

Letztendlich hat mir die Zeit, die ich wieder Zuhause in Bremen war, gezeigt, dass es auch mein Zuhause ist. Natürlich ist es mein Zuhause. Meine ganze Familie ist dort. Ich habe dort so gut wie mein ganzes Leben verbracht! Und in gewisser Weise gehöre ich dort auch hin, immer noch. Nicht nur dieser kindliche Teil von mir, auch alles andere. Es ist ein Ort, an den ich immer wieder zurückkehren kann. Ein Ort, wo ich mit offenen Armen empfangen werde. Ein vertrauter Ort.

Doch hier in Frankfurt ist auch mein Zuhause. Hier habe ich Freunde. Hier habe ich Aufgaben. Hier habe ich Zukunftspläne. Hier habe ich mein eigenes Leben, meine ganz eigene Welt, die ich mir quasi ganz alleine, bei bloßen Vorstellungen angefangen, aufgebaut habe. Hier will ich sein und hier gehöre ich auch irgendwie hin, vielleicht nicht für immer. Aber was ist schon für immer?

Ich weiß nicht, was noch passieren wird, wie die Dinge sich entwickeln, was das Schicksal oder was auch immer das ist, noch so für mich bereit hält, was mein Leben noch so mit mir vorhat und ich mit meinem Leben.
Aber ich weiß, dass es zwei Orte, zwei verschiedene Menschengruppen gibt, bei denen ich sehr gerne bin und sein will. Ich weiß, dass es Unsinn ist, nur einen Ort sein Zuhause zu nennen. Sowieso ist Zuhause kein Ort. Zuhause sind Menschen. Zuhause ist das Gefühl, etwas zu haben, an das man zurückkehren kann, wo man sich wohlfühlt und wo Leute sind, die einem in diesem Gefühl bestärken und dieses Zuhause zu etwas schönem machen.
Dieses Gefühl, zwei Zuhause zu haben, wie seltsam das auch irgendwie ist, wie verwirrend und fast widersprüchlich, ist wunderschön.

Ich hoffe wirklich, dass es auch in Zukunft so bleiben wird und mir meine Heimat Bremen nicht immer fremder und fremder werden wird. Das wäre sehr schade, denn ich mag Bremen und vor allem meine Familie und die eine Freundin, die ich dort habe, wirklich sehr gerne und es hängt einfach so ein großer und wichtiger Teil meines Lebens, meiner Erfahrungen an diesem Ort, dass ich einfach nicht will, dass ich mich irgendwann vollständig davon löse. Ich glaube auch nicht wirklich, dass das überhaupt geht.
Auf der anderen Seite möchte ich mein neues Zuhause noch mehr zu meinem Zuhause machen, vor allem in dem ich Freundschaften vertiefe. Es kommt mir so vor, als würde mir das irgendwie schrecklich schwer fallen, aber gut, das war eigentlich schon immer so. Na ja, vieles kommt einfach auch mit der Zeit. Das gilt auch für meine Träume und Ziele. Zeit. Nichts funktioniert von Jetzt auf Gleich, auch wenn einem rückblickend vieles so erscheinen mag.

Ich bin wirklich gespannt, wie mein Leben weitergehen wird, ob es sich weiter so wundersam fügen wird, ob ich schaffen werde, was ich mir vornehme, wie ich mich verändern werde – alles.
Was auch sein wird, ich denke, ich kann sagen, dass ich mich darauf freue und alles geben werde oder zumindest so viel wie ich kann.

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