Samstag, 2. Mai 2015

52/52 Challenge: Tropfen für Tropfen

Nr. 20! \o/
Okay, ja, es ist immer noch eine Menge übrig, aber etwas Zeit habe ich ja noch und ich habe schon bis 27 geschrieben.
Der Titel verrät auch mal gar nicht, um welches Wort es geht. ;D
Ist übrigens wieder Fanfiktionzeug und ja, wieder Free!, aber mal ein etwas anderes, etwas ungewöhnliches Pairing, das mir aber einfach mit dieser Idee nicht aus dem Kopf ging.

Wort: Tropfen
Wörter: 2086


Tropfen für Tropfen

Rins Sicht
Wir waren auf dem Weg zur Wohnung gewesen und hatten in dem neuen Auto, das wir uns gerade gekauft hatten, gesessen und rumgealbert. Wir hatten gelacht, uns über unser neues Leben gefreut, waren glücklich gewesen. Morgen würden wir heiraten. Wir würden morgen endlich heiraten und dann würde uns nichts und niemand mehr trennen und wir würden ein glückliches Leben führen, weil wir einander hatten und dann irgendwann würden wir glücklich sterben, Arm in Arm.
Wie naiv und kindisch. Es war wirklich verdammt naiv und kindisch, doch Sei hatte, nachdem ich ihm von meinen Zukunftsgedanken erzählt hatte, gelacht und dann gelächelt und gesagt, dass diese naiv-kindliche Art an mir zu den Gründen zählte, wegen denen er mich liebte. Dann hatte er noch hinzugefügt, dass er auch solche romantisch-kitschigen Vorstellungen hatte. „Wir werden diese Vorstellungen zu unserem Leben machen“, hatte er am Ende geflüstert und mich sanft geküsst.
An das und an noch viel mehr, alles, was mir miteinander gehabt hatten, dachte ich. Bis es plötzlich weg war und ich benommen die Augen aufschlug. Über mir sah ich den Himmel. Der Untergrund, auf dem ich lag, war hart. Mein Körper fühlte sich seltsam an. Ich verzog das Gesicht und senkte den Blick. Meine Sicht war verschwommen. Ich blinzelte, konnte aber nur Umrisse ausmachen. War ich auf einer Straße? Warum lag ich auf einer Straße?
Ich versuchte mich aufzusetzen, aber mein Körper reagierte nicht so, wie er sollte und als er irgendwie reagierte, tat es weh. Alles tat weh. Ich ließ meinen Kopf zurück auf den Asphalt sinken und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. Dumpf vernahm ich Stimmen, Rufe und Schreie. Was war nur los?
Ich wollte die Augen schließen und wieder an Sei denken. Sei... Hatten wir nicht gerade eben zusammen im Auto gesessen?
Verwirrt ließ ich die Hand wieder von meinem Gesicht gleiten, um einen erneuten Versuch, meine Umgebung zu erkennen, zu unternehmen. Dabei fiel mir etwas auf meiner Hand auf und ich riss sie wieder hoch, hielt sie mir vor die Augen. Da war etwas auf meiner Hand. Ich berührte die Stelle mit einem Finger meiner anderen Hand. Blut. Ein Tropfen Blut.
Ich schnappte nach Luft und wollte mich erneut aufsetzten. Einen Unfall. Wir hatten einen Unfall gehabt. Der Typ, der neben uns gefahren war und ein LKW, der, aus welchem Grund auch immer, überholt hatte... Sei. Wo war Sei?
//
Sei war okay. Der Fahrer des anderen Autos war okay. Der LKW Fahrer war sowieso okay, dieser Arsch. Ich war nicht okay. Ich war absolut nicht okay.
Mein Gesicht war zum Fenster gedreht. Es regnete und die Tropfen flossen die Scheibe hinab. Wie Tränen, dachte ich. Und dann dachte ich an den Blutstropfen auf meinem Handrücken kurz nach dem Unfall. Ich wollte die Augen schließen und es ausblenden, aber hinter geschlossenen Lidern würde ich den Unfall nur noch realer vor mir sehen.
„Mr. Matsuoka, hören Sie mir zu?“, fragte der Arzt, der am Fußende meines Bettes stand. Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich wollte auch Seijuro links neben mir nicht ansehen. Ich wollte nicht einmal die am Fenster hinablaufenden Regentropfen ansehen. Aber irgendetwas musste ich ja gezwungenermaßen ansehen und die regennasse Scheibe war da noch die beste Option.
„Rin“, sagte Sei sanft und griff nach meiner linken Hand, drückte sie. Ich zog sie ihm weg und ballte sie zur Faust. Tränen traten mir in die Augen. Aber ich würde nicht weinen. Ich würde nicht weinen! „Rin“, wiederholte er und ich wusste ganz genau, wie traurig und besorgt er schaute und ich hasste es und ich hasste mich dafür, dass ich es hasste. Was konnte er denn dafür? Nichts. Absolut nichts.
Ich gab einen unterdrückten Laut von mir, ein Schniefen, das ursprünglich ein Schluchzen hatte sein wollen.
„Wir werden das schon schaffen, Rin. Immerhin bist du am Leben. Dass ist es doch, was-“
„Halt die Klappe, Mikoshiba!“, stieß ich hervor und wandte ihm und dem Arzt mein Gesicht zu. „Halt verdammt nochmal die Klappe. Was du da sagst, ist nicht hilfreich!“ Seijuro war erschrocken verstummt und sah nun noch trauriger und besorgter aus, als zuvor in meiner Vorstellung.
Ich wollte den Kopf erneut wegdrehen, stattdessen richtete ich meinen Blick nun auf den Arzt.
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Beine jemals wieder spüren werde?“, fragte ich direkt, mein Gesichtsausdruck hart und verbissen, damit ich ja nicht anfing, zu weinen. Denn wenn ich anfangen würde zu weinen, wäre alles vorbei. Dann würde ich komplett zusammenbrechen. Nicht zu weinen, war der eine letzte Strohhalm, an dem ich festhielt.
„Doktor, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?“, wiederholte ich, als er mir nicht gleich antwortete.
„Nun ja, das lässt sich schwer sagen. Vieles lässt sich erst nach einiger Zeit beurteilen und der Körper ist manchmal zu wahren Meisterleistungen im Stande“, faselte der Arzt.
Ich verdrehte die Augen. „Sagen Sie's doch einfach! Die Wahrscheinlichkeit für vollständige Heilung ist verschwindend gering, oder? Sagen Sie's!“
„Wenn Sie von einer vollständigen Heilung sprechen, dann ja, das passiert nur in sehr wenigen Fällen.“ Der Arzt sprach noch weiter, erzählte was über Möglichkeiten, Therapie und Reha und was nicht alles. Ich hörte nicht zu.
//
Ich war nicht lange in Reha, etwa ein halbes Jahr. Ich hatte es da einfach nicht ausgehalten. Ich hielt auch die Therapie kaum aus. Ich ließ es alles über mich ergehen, aber mit zusammengepressten Lippen und einer durch und durch negativen Einstellung. Manchmal wünschte ich mir selber, dass ich anders denken würde. Vielleicht wäre es dann leichter. Doch dann dachte ich, wie so etwas jemals irgendwie leichter sein konnte. Konnte es nicht. Es war scheiße. Es war schrecklich. Punkt.
Daran mich umzubringen, dachte ich nicht. Selbst für den Gedanken war ich schon zu feige. Nein, ich war eher die Art Mensch, die sich für ihre Schwäche hasste, aber trotzdem nichts dagegen tat. Ich tat nichts, weil ich nicht konnte. Ich konnte nicht.
Ein paar Dinge konnte ich zum Glück doch. Ich konnte meine Beine nicht benutzen und was Sex betraf, ging gar nichts. Aber alles andere konnte ich noch ziemlich gut. Manches sogar besser, als vorher, aber das waren verschwindend wenige Dinge und nicht wirklich Dinge, auf die man stolz sein konnte. In erster Linie zählte zu diesen Dingen nämlich das Trinken von Alkohol.
Sobald ich in meinem Hass auf meinen Selbsthass zu ersticken drohte, griff ich zur Flasche. Anfangs waren es wirklich Ausnahmen, wirklich. Aber dann wurde es zur Gewohnheit und es ging soweit, dass ich trank, weil ich dachte, dass ich mich dann weniger hassen würde, obwohl ich mich tatsächlich für das Trinken noch mehr hasste.
Seit dem Unfall lief es zwischen Sei und mir sehr schlecht. Als er jetzt, es war fast fünf Uhr morgens, völlig verschlafen, zu mir an den Tisch kam, machte sich Wut in mir breit. Wut und Hass, das schien alles zu sein, was ich noch an Emotionen besaß. Und natürlich die alles zerfressende Traurigkeit und die alles vernichtende Verzweiflung. Die letzteren beiden versteckte ich, so gut es ging, vor allen. So wie ich im Krankenhaus nicht hatte weinen wollen, war das verbergen dieser zwei Gefühle für mich der eine einzige Strohhalm, an den ich mich klammerte.
Seijuro nahm seufzend mir gegenüber Platz und zog die Flasche Wodka zu sich, weg von mir. Wodka war am besten, betäubte am schnellsten. Leider hatte es nicht mehr die Wirkung wie am Anfang.
„Du sitzt hier seit fast einer Stunde“, meinte er.
Ich streckte die Hand nach der Flasche aus. „Nur noch ein Tropfen“, versicherte ich ihm, was aber natürlich eine Lüge war. Aber ich brauchte es! Ohne den Alkohol... Ohne ihn würde ich total zusammenbrechen. Ohne ihn würde ich die Traurigkeit und die Verzweiflung nicht länger verbergen können. Ohne ihn wäre alles zu Ende.
„Du bekommst nichts mehr“, sagte Seijuro entschieden.
„Du hast kein Recht, es mir zu verbieten!“, sagte ich verärgert.
„Doch habe ich. Als dein fester Freund, der dich liebt, habe ich sogar die Pflicht, dich vor dir selbst zu beschützen“, gab er zurück und ich hasste es, wie ernst und ruhig er aussah. Obwohl ich die Traurigkeit und die Sorge in seinen Augen, die ich zu Anfang immer gesehen hatte, auch gehasst hatte, hasste ich die Kühle, die jetzt schon seit geraumer Zeit immer sein Gesicht beherrschte, noch viel mehr. Und wieder hasste ich dadurch auch mich, denn ich hatte ihn zu dieser Kühle getrieben.
„Mikoshiba, gib mir die Flasche zurück!“, forderte ich wütend. Wenn ich trinken wollte, trank ich. Da hatte er gar nichts zu melden! Hatte er sowieso nicht, nicht mehr. Er hielt sich ja aus allem raus, zog sich mehr und mehr zurück. Wenn er dann mal einschritt, waren es Momente wie diese, wo er mich einfach in Ruhe lassen sollte. Verdammte Scheiße.
„Nein“, war seine entschiedene Antwort, sein Gesicht unbewegt.
„Gut, schön, dann eben nicht. Dann eben nicht! Heute nichts mehr zu trinken, wird mir auch nicht helfen. Es wird mir auch nichts helfen, so wie gar nichts mir helfen kann!“ Ich schrie und gleich würde ich weinen. Bevor das passierte, rollte ich, so schnell ich konnte, in mein Zimmer. Ich hasste es, dass es solange dauerte, hasste den dämlichen Rollstuhl. Hasste einfach alles.
//
Ich hasste auch noch alles, als ich ein paar Wochen später vom Einkaufen nach Hause kam. Einkaufen gefahren war ich schlicht aus dem Grund, dass ich es in der beschissenen Wohnung nicht mehr ausgehalten hatte. Ich hielt es eigentlich keine Sekunde dort aus. Es war schrecklich. Alles war schrecklich und scheiße. Aber da es auch überall anders schrecklich und scheiße war, machte es die meiste Zeit nun auch nicht wirklich einen Unterschied, wo meine Existenz denn nun schrecklich und scheiße war.
Doch heute hatte ich einfach rausgemusst und eine Aufgabe gebraucht. Aufgaben waren wichtig, das sagte meine Therapeutin immer. Es war mir egal. Ich hatte bloß nicht gewollt, dass Mikoshiba mich schreien und weinen hört. Alles, nur nicht das.
Ich öffnete die Wohnungstür, schob mich rein, schloss sie wieder und fuhr in die Küche, um den Rucksack auszuleeren und alles einzuräumen. Bis zum letzten Schritt kam ich allerdings gar nicht, da ich auf einmal etwas hörte, von dem Sei sicherlich genauso wenig wollte, dass ich es hörte, wie ich nicht wollte, dass er mich schreien und weinen hörte.
Er stöhnte. Es war unverkennbar sein Stöhnen. Ich kannte sein Stöhnen wie kein anderes, besser als mein eigenes. Dass ich es lange nicht mehr gehört hatte, änderte nichts an dieser Tatsache. Die Vertrautheit dieses Geräusches durchzuckte mich für einen Moment wie ein Funken, ein Funken Leben.
Doch dann hörte ich das Stöhnen einer anderen, männlichen Person und der Funken erlosch genauso schnell wie er zuvor erschienen war. Als hätte er nie existiert.
Jetzt schrie ich, aus Leibeskräften und voller Hass: „MIKOSHIBA!“ Es wurde still, nur noch mein lauter Atem und mein brechendes Herz waren zu hören. Die Sekunden verstrichen, bis sich die Tür seines Zimmers öffnete. Ursprünglich hatte es mal unser Büro- und Zockerzimmer werden sollen. Ursprünglich hatte ich nicht im Rollstuhl sitzen sollen.
Ich weinte nicht, als ich ihn dort im Türrahmen stehen sah, nur mit Boxershorts. Ich weinte nicht, als er mir, zwar mit einem Glänzen in den Augen, aber trotzdem vollkommen kühl erklärte, dass er es, Sex, gebraucht hatte. Er erzählte mir, wie fertig er wegen allem war und wie sehr es ihn belastete und so weiter. Es war das erste Mal, dass er richtig mit mir darüber sprach.
Ich hörte jedes Wort, dass er sagte. Doch ich erwiderte nichts. Ich sagte gar nichts, bis er irgendwann zu reden aufhörte.
„Ich werde zurück nach Japan gehen.“ Mehr sagte ich nicht. Mehr gab es nicht zu sagen.
Ich rollte in mein Zimmer, schloss die Tür und begann zitternd zu weinen, das stille Weinen, das ich mir angewöhnt hatte. Ich weinte stundenlang, auch dann noch als längst keine Tränen mehr kamen. Ich weinte, weinte und weinte. Irgendwann schluchzte und schrie ich.
Das Fass war übergelaufen. Sei hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Schon die ganze Zeit war es randvoll gewesen, hatte quasi nur darauf gewartet, überzulaufen. Dass Sei mich betrogen hatte, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der eine, letzte Tropfen.
Schließlich wurde ich wieder still, Schreien und Schluchzen erstarben und ich wimmerte nur noch, unfähig etwas anderes zu tun.
Als ich am nächsten Morgen mit gepackten Sachen zum Flughafen fuhr und zurück nach Japan flog, dachte ich, dass ich endgültig und unwiederbringlich am Ende war. Vielleicht würde ich mich doch umbringen. Das dachte ich.
Doch der letzte Tropfen war noch nicht gefallen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen