Okay, ja, es ist immer noch eine Menge übrig, aber etwas Zeit habe ich ja noch und ich habe schon bis 27 geschrieben.
Der Titel verrät auch mal gar nicht, um welches Wort es geht. ;D
Ist übrigens wieder Fanfiktionzeug und ja, wieder Free!, aber mal ein etwas anderes, etwas ungewöhnliches Pairing, das mir aber einfach mit dieser Idee nicht aus dem Kopf ging.
Wort: Tropfen
Wörter: 2086
Tropfen für Tropfen
Rins
Sicht
Wir waren auf dem Weg zur Wohnung gewesen und hatten in dem neuen
Auto, das wir uns gerade gekauft hatten, gesessen und rumgealbert.
Wir hatten gelacht, uns über unser neues Leben gefreut, waren
glücklich gewesen. Morgen würden wir heiraten. Wir würden morgen
endlich heiraten und dann würde uns nichts und niemand mehr trennen
und wir würden ein glückliches Leben führen, weil wir einander
hatten und dann irgendwann würden wir glücklich sterben, Arm in
Arm.
Wie naiv und kindisch. Es war wirklich verdammt naiv und kindisch,
doch Sei hatte, nachdem ich ihm von meinen Zukunftsgedanken erzählt
hatte, gelacht und dann gelächelt und gesagt, dass diese
naiv-kindliche Art an mir zu den Gründen zählte, wegen denen er
mich liebte. Dann hatte er noch hinzugefügt, dass er auch solche
romantisch-kitschigen Vorstellungen hatte. „Wir werden diese
Vorstellungen zu unserem Leben machen“, hatte er am Ende geflüstert
und mich sanft geküsst.
An das und an noch viel mehr, alles, was mir miteinander gehabt
hatten, dachte ich. Bis es plötzlich weg war und ich benommen die
Augen aufschlug. Über mir sah ich den Himmel. Der Untergrund, auf
dem ich lag, war hart. Mein Körper fühlte sich seltsam an. Ich
verzog das Gesicht und senkte den Blick. Meine Sicht war
verschwommen. Ich blinzelte, konnte aber nur Umrisse ausmachen. War
ich auf einer Straße? Warum lag ich auf einer Straße?
Ich versuchte mich aufzusetzen, aber mein Körper reagierte nicht so,
wie er sollte und als er irgendwie reagierte, tat es weh. Alles tat
weh. Ich ließ meinen Kopf zurück auf den Asphalt sinken und fuhr
mir mit der Hand übers Gesicht. Dumpf vernahm ich Stimmen, Rufe und
Schreie. Was war nur los?
Ich wollte die Augen schließen und wieder an Sei denken. Sei...
Hatten wir nicht gerade eben zusammen im Auto gesessen?
Verwirrt ließ ich die Hand wieder von meinem Gesicht gleiten, um
einen erneuten Versuch, meine Umgebung zu erkennen, zu unternehmen.
Dabei fiel mir etwas auf meiner Hand auf und ich riss sie wieder
hoch, hielt sie mir vor die Augen. Da war etwas auf meiner Hand. Ich
berührte die Stelle mit einem Finger meiner anderen Hand. Blut. Ein
Tropfen Blut.
Ich schnappte nach Luft und wollte mich erneut aufsetzten. Einen
Unfall. Wir hatten einen Unfall gehabt. Der Typ, der neben uns
gefahren war und ein LKW, der, aus welchem Grund auch immer, überholt
hatte... Sei. Wo war Sei?
//
Sei war okay. Der Fahrer des anderen Autos war okay. Der LKW Fahrer
war sowieso okay, dieser Arsch. Ich war nicht okay. Ich war absolut
nicht okay.
Mein Gesicht war zum Fenster gedreht. Es regnete und die Tropfen
flossen die Scheibe hinab. Wie Tränen, dachte ich. Und dann dachte
ich an den Blutstropfen auf meinem Handrücken kurz nach dem Unfall.
Ich wollte die Augen schließen und es ausblenden, aber hinter
geschlossenen Lidern würde ich den Unfall nur noch realer vor mir
sehen.
„Mr. Matsuoka, hören Sie mir zu?“, fragte der Arzt, der am
Fußende meines Bettes stand. Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich
wollte auch Seijuro links neben mir nicht ansehen. Ich wollte nicht
einmal die am Fenster hinablaufenden Regentropfen ansehen. Aber
irgendetwas musste ich ja gezwungenermaßen ansehen und die
regennasse Scheibe war da noch die beste Option.
„Rin“, sagte Sei sanft und griff nach meiner linken Hand, drückte
sie. Ich zog sie ihm weg und ballte sie zur Faust. Tränen traten mir
in die Augen. Aber ich würde nicht weinen. Ich würde nicht weinen!
„Rin“, wiederholte er und ich wusste ganz genau, wie traurig und
besorgt er schaute und ich hasste es und ich hasste mich dafür, dass
ich es hasste. Was konnte er denn dafür? Nichts. Absolut nichts.
Ich gab einen unterdrückten Laut von mir, ein Schniefen, das
ursprünglich ein Schluchzen hatte sein wollen.
„Wir werden das schon schaffen, Rin. Immerhin bist du am Leben.
Dass ist es doch, was-“
„Halt die Klappe, Mikoshiba!“, stieß ich hervor und wandte ihm
und dem Arzt mein Gesicht zu. „Halt verdammt nochmal die Klappe.
Was du da sagst, ist nicht hilfreich!“ Seijuro war erschrocken
verstummt und sah nun noch trauriger und besorgter aus, als zuvor in
meiner Vorstellung.
Ich wollte den Kopf erneut wegdrehen, stattdessen richtete ich meinen
Blick nun auf den Arzt.
„Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Beine jemals
wieder spüren werde?“, fragte ich direkt, mein Gesichtsausdruck
hart und verbissen, damit ich ja nicht anfing, zu weinen. Denn wenn
ich anfangen würde zu weinen, wäre alles vorbei. Dann würde ich
komplett zusammenbrechen. Nicht zu weinen, war der eine letzte
Strohhalm, an dem ich festhielt.
„Doktor, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?“, wiederholte ich,
als er mir nicht gleich antwortete.
„Nun ja, das lässt sich schwer sagen. Vieles lässt sich erst nach
einiger Zeit beurteilen und der Körper ist manchmal zu wahren
Meisterleistungen im Stande“, faselte der Arzt.
Ich verdrehte die Augen. „Sagen Sie's doch einfach! Die
Wahrscheinlichkeit für vollständige Heilung ist verschwindend
gering, oder? Sagen Sie's!“
„Wenn Sie von einer vollständigen Heilung sprechen, dann ja, das
passiert nur in sehr wenigen Fällen.“ Der Arzt sprach noch weiter,
erzählte was über Möglichkeiten, Therapie und Reha und was nicht
alles. Ich hörte nicht zu.
//
Ich war nicht lange in Reha, etwa ein halbes Jahr. Ich hatte es da
einfach nicht ausgehalten. Ich hielt auch die Therapie kaum aus. Ich
ließ es alles über mich ergehen, aber mit zusammengepressten Lippen
und einer durch und durch negativen Einstellung. Manchmal wünschte
ich mir selber, dass ich anders denken würde. Vielleicht wäre es
dann leichter. Doch dann dachte ich, wie so etwas jemals irgendwie
leichter sein konnte. Konnte es nicht. Es war scheiße. Es war
schrecklich. Punkt.
Daran mich umzubringen, dachte ich nicht. Selbst für den Gedanken
war ich schon zu feige. Nein, ich war eher die Art Mensch, die sich
für ihre Schwäche hasste, aber trotzdem nichts dagegen tat. Ich tat
nichts, weil ich nicht konnte. Ich konnte nicht.
Ein paar Dinge konnte ich zum Glück doch. Ich konnte meine Beine
nicht benutzen und was Sex betraf, ging gar nichts. Aber alles andere
konnte ich noch ziemlich gut. Manches sogar besser, als vorher, aber
das waren verschwindend wenige Dinge und nicht wirklich Dinge, auf
die man stolz sein konnte. In erster Linie zählte zu diesen Dingen
nämlich das Trinken von Alkohol.
Sobald ich in meinem Hass auf meinen Selbsthass zu ersticken drohte,
griff ich zur Flasche. Anfangs waren es wirklich Ausnahmen, wirklich.
Aber dann wurde es zur Gewohnheit und es ging soweit, dass ich trank,
weil ich dachte, dass ich mich dann weniger hassen würde, obwohl ich
mich tatsächlich für das Trinken noch mehr hasste.
Seit dem Unfall lief es zwischen Sei und mir sehr schlecht. Als er
jetzt, es war fast fünf Uhr morgens, völlig verschlafen, zu mir an
den Tisch kam, machte sich Wut in mir breit. Wut und Hass, das schien
alles zu sein, was ich noch an Emotionen besaß. Und natürlich die
alles zerfressende Traurigkeit und die alles vernichtende
Verzweiflung. Die letzteren beiden versteckte ich, so gut es ging,
vor allen. So wie ich im Krankenhaus nicht hatte weinen wollen, war
das verbergen dieser zwei Gefühle für mich der eine einzige
Strohhalm, an den ich mich klammerte.
Seijuro nahm seufzend mir gegenüber Platz und zog die Flasche Wodka
zu sich, weg von mir. Wodka war am besten, betäubte am schnellsten.
Leider hatte es nicht mehr die Wirkung wie am Anfang.
„Du sitzt hier seit fast einer Stunde“, meinte er.
Ich streckte die Hand nach der Flasche aus. „Nur noch ein Tropfen“,
versicherte ich ihm, was aber natürlich eine Lüge war. Aber ich
brauchte es! Ohne den Alkohol... Ohne ihn würde ich total
zusammenbrechen. Ohne ihn würde ich die Traurigkeit und die
Verzweiflung nicht länger verbergen können. Ohne ihn wäre alles zu
Ende.
„Du bekommst nichts mehr“, sagte Seijuro entschieden.
„Du hast kein Recht, es mir zu verbieten!“, sagte ich verärgert.
„Doch habe ich. Als dein fester Freund, der dich liebt, habe ich
sogar die Pflicht, dich vor dir selbst zu beschützen“, gab er
zurück und ich hasste es, wie ernst und ruhig er aussah. Obwohl ich
die Traurigkeit und die Sorge in seinen Augen, die ich zu Anfang
immer gesehen hatte, auch gehasst hatte, hasste ich die Kühle, die
jetzt schon seit geraumer Zeit immer sein Gesicht beherrschte, noch
viel mehr. Und wieder hasste ich dadurch auch mich, denn ich hatte
ihn zu dieser Kühle getrieben.
„Mikoshiba, gib mir die Flasche zurück!“, forderte ich wütend.
Wenn ich trinken wollte, trank ich. Da hatte er gar nichts zu melden!
Hatte er sowieso nicht, nicht mehr. Er hielt sich ja aus allem raus,
zog sich mehr und mehr zurück. Wenn er dann mal einschritt, waren es
Momente wie diese, wo er mich einfach in Ruhe lassen sollte.
Verdammte Scheiße.
„Nein“, war seine entschiedene Antwort, sein Gesicht unbewegt.
„Gut, schön, dann eben nicht. Dann eben nicht! Heute nichts mehr
zu trinken, wird mir auch nicht helfen. Es wird mir auch nichts
helfen, so wie gar nichts mir helfen kann!“ Ich schrie und gleich
würde ich weinen. Bevor das passierte, rollte ich, so schnell ich
konnte, in mein Zimmer. Ich hasste es, dass es solange dauerte,
hasste den dämlichen Rollstuhl. Hasste einfach alles.
//
Ich hasste auch noch alles, als ich ein paar Wochen später vom
Einkaufen nach Hause kam. Einkaufen gefahren war ich schlicht aus dem
Grund, dass ich es in der beschissenen Wohnung nicht mehr ausgehalten
hatte. Ich hielt es eigentlich keine Sekunde dort aus. Es war
schrecklich. Alles war schrecklich und scheiße. Aber da es auch
überall anders schrecklich und scheiße war, machte es die meiste
Zeit nun auch nicht wirklich einen Unterschied, wo meine Existenz
denn nun schrecklich und scheiße war.
Doch heute hatte ich einfach rausgemusst und eine Aufgabe gebraucht.
Aufgaben waren wichtig, das sagte meine Therapeutin immer. Es war mir
egal. Ich hatte bloß nicht gewollt, dass Mikoshiba mich schreien und
weinen hört. Alles, nur nicht das.
Ich öffnete die Wohnungstür, schob mich rein, schloss sie wieder
und fuhr in die Küche, um den Rucksack auszuleeren und alles
einzuräumen. Bis zum letzten Schritt kam ich allerdings gar nicht,
da ich auf einmal etwas hörte, von dem Sei sicherlich genauso wenig
wollte, dass ich es hörte, wie ich nicht wollte, dass er mich
schreien und weinen hörte.
Er stöhnte. Es war unverkennbar sein Stöhnen. Ich kannte sein
Stöhnen wie kein anderes, besser als mein eigenes. Dass ich es lange
nicht mehr gehört hatte, änderte nichts an dieser Tatsache. Die
Vertrautheit dieses Geräusches durchzuckte mich für einen Moment
wie ein Funken, ein Funken Leben.
Doch dann hörte ich das Stöhnen einer anderen, männlichen Person
und der Funken erlosch genauso schnell wie er zuvor erschienen war.
Als hätte er nie existiert.
Jetzt schrie ich, aus Leibeskräften und voller Hass: „MIKOSHIBA!“
Es wurde still, nur noch mein lauter Atem und mein brechendes Herz
waren zu hören. Die Sekunden verstrichen, bis sich die Tür seines
Zimmers öffnete. Ursprünglich hatte es mal unser Büro- und
Zockerzimmer werden sollen. Ursprünglich hatte ich nicht im
Rollstuhl sitzen sollen.
Ich weinte nicht, als ich ihn dort im Türrahmen stehen sah, nur mit
Boxershorts. Ich weinte nicht, als er mir, zwar mit einem Glänzen in
den Augen, aber trotzdem vollkommen kühl erklärte, dass er es, Sex,
gebraucht hatte. Er erzählte mir, wie fertig er wegen allem war und
wie sehr es ihn belastete und so weiter. Es war das erste Mal, dass
er richtig mit mir darüber sprach.
Ich hörte jedes Wort, dass er sagte. Doch ich erwiderte nichts. Ich
sagte gar nichts, bis er irgendwann zu reden aufhörte.
„Ich werde zurück nach Japan gehen.“ Mehr sagte ich nicht. Mehr
gab es nicht zu sagen.
Ich rollte in mein Zimmer, schloss die Tür und begann zitternd zu
weinen, das stille Weinen, das ich mir angewöhnt hatte. Ich weinte
stundenlang, auch dann noch als längst keine Tränen mehr kamen. Ich
weinte, weinte und weinte. Irgendwann schluchzte und schrie ich.
Das Fass war übergelaufen. Sei hatte das Fass zum Überlaufen
gebracht. Schon die ganze Zeit war es randvoll gewesen, hatte quasi
nur darauf gewartet, überzulaufen. Dass Sei mich betrogen hatte, war
der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der eine, letzte
Tropfen.
Schließlich wurde ich wieder still, Schreien und Schluchzen
erstarben und ich wimmerte nur noch, unfähig etwas anderes zu tun.
Als ich am nächsten Morgen mit gepackten Sachen zum Flughafen fuhr
und zurück nach Japan flog, dachte ich, dass ich endgültig und
unwiederbringlich am Ende war. Vielleicht würde ich mich doch
umbringen. Das dachte ich.
Doch der letzte Tropfen war noch nicht gefallen.
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