Freitag, 22. Mai 2015

52/52 Challenge: Drachenseele

Die Nr. 32. :)
Knüpft, wie der Name vielleicht schon vermuten lässt, direkt an Nr. 31 an.
Im Moment heißt diese größere Idee übrigens ''Drachenfeuer''.
1. Seelenfeuer
2. Seelenschwert

Wort: Drache
Wörter: 1752

Drachenseele

Leicht lag das Schwert in meiner Hand. Es fühlte sich an, als würde es dorthin gehören. Als wäre es eine natürliche Verlängerung meines Armes. Mehr noch, als wäre es ein fester Teil meines Armes. Als wäre es das schon immer gewesen. Es gehörte dorthin. Es gehörte ganz genau dorthin. Wenn ich auch dank dem Tausch meiner Seele gegen Stärke kaum noch so etwas wie Gefühle hatte, das fühlte ich ganz deutlich.
Ebenso fühlte ich, wie die magische Energie des Schwertes durch mich hindurch strömte. Verflucht, hatten sie gesagt, war es. Vielleicht war es das, wenn es jemand Seelenlosen mit sowas wie Leben erfüllte.
Vielleicht verstärkte das Schwert mit seiner Magie aber auch bloß alles, was ich sowieso schon in mir hatte – meine Stärke, meine Geschicklichkeit, meine Magie, mein Verlangen, den Drachen zu töten.
Ich stellte mir nicht die Frage, woher er kam oder was er wollte. Ich dachte auch nicht daran, dass er das Dorf, in dem ich aufgewachsen war, angriff, weil er mich spürte oder etwas in der Art. Ich dachte nicht an übergreifende Dinge, kein bisschen. Alles, woran ich dachte, war ich und der Drache. Es war meine Aufgabe als Nachkomme der Drachenkrieger, ihn zu töten. Schlicht und ergreifend.
Ich tat es nicht aus Heldenmut. Tat es nicht aus Pflicht- oder Verantwortungsgefühl. Tat es nicht, um die Bewohner des Dorfes und der umliegenden Dörfer zu retten.
Nein, es war vielmehr ein Instinkt, schon beinahe ein Bedürfnis, ein angeborenes Verlangen.
Bevor ich den Drachen gesehen, hatte ich diesen Instinkt nicht gekannt, als hätte er geschlummert. Und erst, als ich meine Seele gegen Stärke eingetauscht hatte, war er vollkommen erwacht. Jetzt kannte ich nichts anderes mehr. Dieser Instinkt war alles, woraus ich bestand. Alles, was ich war.
Ich umschloss auch mit der anderen Hand den Griff des Schwerts. Es war ein beidhändiges Schwert, aber ich könnte es auch als Einhandschwert verwenden, bloß würde es mit beiden Händen geführt mehr Schaden anrichten.
Eine leise Stimme in mir sagte, dass es dann schneller, viel zu schnell vorbei sein würde. Was würde ich dann noch haben? Ohne Seele? Ohne Ziel?
Doch die Stimme war zu leise, wurde von dem Instinkt, den Drachen zu töten, überschattet. Das war meine Aufgabe, mein Schicksal. Ich würde den Drachen töten.
Er kreiste über dem Dorf zu meiner Rechten. Noch hatte er nichts in Brand gesetzt, aber es war nur eine Frage der Zeit. Das Feuer war die Natur der Drachen. Meine Natur, die Natur der Drachenkrieger, war das Töten der Drachen. Es pochte in jeder meiner Poren, diese Tatsache.
„Komm!“, rief ich mit lauter Stimme dem Drachen zu. „Komm und stelle dich mir! Kämpfe gegen mich! Ich bin bereit, dich zu töten.“
Zuerst schien es, als habe der Drache mich nicht bemerkt. Warum sollte er auch auf den Ruf eines Menschen hören? Aber ich war nicht bloß ein Mensch, ich war ein Drachenkrieger.
Gerade deshalb sollte der Drache eigentlich abdrehen, rein logisch betrachtet. Doch seit ich erfahren hatte, dass ich ein Nachkomme der Drachenkrieger war, war eigentlich nichts mehr rein logisch. Nicht mehr auf die Weise, wie es das zuvor gewesen war. Magie, Drachen, Schwerter – das ging alles weit über den Verstand eines Bauernjungen hinaus.
Und dennoch stand ich hier, mit einem Schwert und mächtiger Magie in meinen Adern und ohne Seele. Das war der entscheidende Punkt. Hätte ich meine Seele noch, wäre ich vielleicht jetzt am Durchdrehen. Ohne Seele war ich die Ruhe selbst. Ich wusste, dass ich siegen würde. Der Drachentöterinstinkt sagte es mir.
Drachentöter. Das klang doch viel schöner, als Drachenkrieger.
Ich lächelt leicht. „Komm!“, rief ich erneut. „Damit ich dich töten kann, Drache.“
Auf diese Verhöhnung reagierte er dann endlich und wandte seinen Kopf in meine Richtung. Er brauchte nur wenige Schläge seiner gigantischen Flügel, bis er vor mir auf der großen Wiese landete. Im Frühling und im Sommer wurden die Schafe hier rausgeschickt. Da aber bereits Herbst war, war niemand in näherer Reichweite. Selbst mein älterer Bruder, der nicht mein älterer Bruder war und das Mädchen aus dem Dorf, das trotz meiner Seelenlosigkeit noch immer in mich verknallt war, waren nicht mit hier rausgekommen, nannten es ein Selbstmordkommando. Ich wusste, was ich tat. Ich wusste es ganz genau.
Still, zu still stand der Drache vor mir und sah mich aus seinen großen, schwarzen Augen an. Warum tat er das? Warum griff er mich nicht direkt an?
Ich zog die Augenbrauen zusammen und hob mein Schwert noch ein bisschen höher. In dem Moment hob auch der Drache seinen Kopf, streckte ihn dem Himmel entgegen und brüllte, dass mir die Ohren schmerzten. Ich ertrug es irgendwie. Es schien furchtbar lange anzuhalten. Und dann senkte er den Kopf wieder und riss sein Maul auf. Das Feuer schoss direkt auf mich. In letzter Sekunde schaffte ich es, ein Stück nach vorne und zur Seite zu springen. Ich spürte die Hitze der Flammen brennend an meinem Ohr.
Doch ich zögerte nicht. Ebenfalls brüllend, wenn auch natürlich deutlich leiser, stürzte ich nach vorne. Kurz bevor ich den Drachen erreicht hatte, schwang er sich in die Lüfte, um sich in der nächsten Sekunde fallen zu lassen. Ich rollte mich zur Seite, damit er mich nicht unter sich zerquetschte. Dabei hielt ich die Klinge in Richtung seines Körpers ausgestreckt und fügte ihm einen kleinen Schnitt an der rechten Seite zu. Er brüllte auf. Doch eher vor Ärger, als vor Schmerz. Es war wirklich kein tiefer Schnitt gewesen, eher ein Kratzer.
Er schlug mit einem seiner Flügel nach mir und traf meinen rechten Arm, als ich mich weiter zur Seite rollte. Rasch sprang ich auf die Füße. Den Schmerz ignorierte ich. Ich kannte mein Ziel. Ich würde mein Ziel erreichen.
Erneut stürzte ich auf den Drachen zu. Ich musste seine Ungeschicklichkeit und Schwerfälligkeit ausnutzen und natürlich das Schwert richtig einsetzen, was hieß, seine Schwachstelle zu finden und das Schwert tief genug hineinzustechen.
Seine Schwachstelle war sein Bauch, das wusste ich. Ich hatte auch einen Plan, wie ich da herankommen konnte, ohne zerquetscht zu werden. Aber dieser Plan machte sich Gelegenheiten und Chancen zu nutze. Also konnte ich quasi nur Warten und Schritt für Schritt meinem Ziel näherkommen.
Für meinen Körper war das kräftezehrend, aber ich war stark. Dank dem Eintausch meiner Seele war ich sehr stark. Ich würde es schaffen. Das wusste ich.
Und ich schaffte es. Ich schaffte es tatsächlich. Im ersten Moment realisierte ich es nicht. Es ging mit einem Mal so schnell. Nach viel hin und her, viel Schweiß, vielen, oberflächlichen Verletzungen kam ich nah genug heran, um mein Schwert im Bauch des Drachen zu versenken. Er hatte gerade zum Flug angesetzt gehabt. Als ich jetzt die Klinge durch seinen Bauch zog, schrie er. Es klang beinahe menschlich, aber nur beinahe. Es schmerzte noch tausend Mal schlimmer in meinen Ohren als sein Gebrüll. Ich dachte fast, mein Kopf würde gleich explodieren.
Aber es klingelte und pochte bloß in meinen Ohren und die Welt um mich herum klang seltsam dumpf. Da sie aber durch meine Seelenlosigkeit ohnehin schon dumpf geworden war, fiel das kaum weiter auf.
Ich legte meine Hand auf die schuppige Haut des Drachen, um das Schwert herauszuziehen. Ich musste sein Herz getroffen haben, das fühlte ich. Fast, als würde das Schwert zu mir sprechen, bloß dass es Signalwellen durch mein Blut schickte.
Ich lächelte.
Dann legte sich meine komplette Handfläche auf die Haut des Drachen und mit einem Mal sah ich... Dinge. Ich blinzelte, doch sie verschwanden nicht. Was...?
Ich sah unzählige Drachen in einem saftig grünem, blühendem Tal, durch das sich ein tief blauer, glänzender Fluss zog. Ich sah die Welt, in der ich lebte, von oben. Die Drachen, sie flogen über sie hinweg. Sie spien kein Feuer, zündeten nichts an. Stattdessen dienten sie als... Reittiere? Ich sah Menschen auf ihren Rücken sitzen. Und ich sah... Menschen mit ihnen sprechen, sie berühren und umarmen, die Drachen lächelnd ansehend. Ich spürte... eine Verbindung. Eine sehr tiefe, magische und emotionale Verbindung. Jemand sagte, wie froh er war, dass die Drachenkrieger geschaffen worden waren, um zwischen Drachen und Menschen zu vermitteln. Wer weiß, was sonst noch passiert wäre?, sagte jemand. Wenn niemand je erfahren hätte, dass die Drachen denken und handeln wie wir Menschen es tun?
Dann wechselte das Bild, wurde düsterer. Armeen, menschliche Armeen zogen über Straßen und Felder, durch Dörfer und Städte, plünderten, verursachten Chaos, erhoben sich gegen die Drachenkrieger und die Drachen. Es schien nur wenige Drachenkrieger gegeben zu haben und zu jener Zeit waren sie nicht mehr so stark, wie sie es einst gewesen waren. Der damalige Herrscher über die Menschen wusste sich das zu Nutze zu machen.
Ein Drachenkrieger stand auf der Seite der Menschen. Ein Verräter. Er tötete mit seinem Schwert viele Drachen. Dem Drachentöterschwert. Dem Schwert, das ich jetzt in der Hand hielt.
Die Drachenkrieger wurden fast alle vollständig getötet und auch die Drachen beinahe ausgerottet. Sie zogen sich zurück, versteckten sich, lebten von da an abgeschieden von den Menschen, immer in Angst. Das Tal, in dem sie sich verkrochen, war nicht grün und bunt, wie ihr vorheriges. Es war trocken und dürr. Der Fluss war dabei auszutrocknen, die Bäume waren krüppelig und trugen kaum Blätter. Die vorherrschende Farbe war das Orange des Sandgesteins.
Wie das Tal verkümmerten auch die Drachen und verfielen nach und nach dem Wahnsinn.
Hilf uns. Hilf uns, vernahm ich eine brüchige Stimme, die ganz eindeutig dem Drachen vor mir gehörter. Junger Drachenkrieger. Es ist noch nicht zu spät. Hilf uns. Hilf uns...
Ich zog das Drachentöterschwert ein Stück heraus und bohrte es wieder tief in den Leib des Drachen hinein. Ich hatte sein Herz wohl doch noch nicht getroffen oder zumindest noch nicht schlimm genug verletzt.
Der Drache schrie erneut. Schrie, schrie und schrie. Ich dachte, jetzt müsste mein Kopf doch noch explodieren. Doch schließlich hörte das Geschrei auf und der Drache fiel in sich zusammen. Er kippte zur Seite und dann wurde er ganz langsam und doch ganz schnell zu glühender Asche, die vom Wind davon getragen wurde.
Schwer atmend stand ich eine Weile so da und betrachtete das Spektakel. Ich war stolz auf mich. Ich fühlte kein Mitleid oder ähnliches. Drachen gehörten getötet. Sie waren wahnsinnig. Was einst gewesen war, zählte nicht. Es zählte, was jetzt war.
Ich wandte mich von dem toten Drachen ab und richtete meinen Blick in die entgegen gesetzte Richtung. War da eine leise Stimme in mir gewesen, die gefragt hatte, was nach dem Tod dieses Drachen sein würde? Nun, ich wusste es jetzt.
Denn ich kannte den Aufenthaltsort der restlichen Drachen. Ich würde sie alle töten. Jeden Einzelnen.

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