Viel Spaß beim Lesen. :D
Wort: Gott
Wörter: 777
Die Lebensworte des Weltenerschaffers
Als die Welt noch nicht erschaffen war, ging ein junger
Mann, fast noch ein Kind, über einen weißen Flur. Er klopfte an
eine weiße Tür und betrat nach kurzem Warten den dahinterliegenden
weißen Raum.
Es war niemand in dem Raum. Er war leer, so wie alles
leer war. Nein, nicht leer. Weiß war nicht leer und steril. Weiß
war leuchtend, einladend. Und Leere verlangte danach gefüllt zu
werden.
Der junge Mann hob eine Hand zu seinem Ohr und nahm den
Stift, den er dort deponiert hatte. Er fühlte sich leicht an
zwischen seinen Fingern, beinahe vergänglich, ein unbedeutendes
Werkzeug. Aber das Werkzeug war genauso wichtig, wie das Ergebnis.
Er löste die Klappe von der Vorderseite des Stiftes und
befestigte sie an der Rückseite, um sie nicht zu verlieren. Doch wie
er sich so in dem leeren, weißen Raum umsah und an den leeren,
weißen Flur dachte, glaubte er nicht, dass er die Kappe jemals
brauchen würde. Denn er würde den Stift nicht eher wieder
schließen, bis er fertig war.
Er brauchte einen Moment, um zu entscheiden, wo er
beginnen wollte. Die Mitte? Der Rand? Schließlich wählte er etwas
dazwischen, weder Mitte noch Rand, etwas irgendwo dazwischen.
Wieder stand er einen Moment bloß da, an der großen
leeren, weißen Wand. Er starrte sie an, als würde sie ein Geheimnis
kennen, das er erst noch entschlüsseln musste. Dabei war es genau
andersherum. Er kannte ein Geheimnis, das die Wand entschlüsseln
würde.
Lächelnd setzte er den Stift an und schrieb die ersten
Worte. Schwarze, gleichmäßige Buchstaben begannen die Wand zu
bedecken. So langweilig und nichtssagend sie auf den ersten Blick
erschienen, umso geschwungener und bunter war ihr Inhalt. Es waren
aufregende Worte, die von Unperfektheit und Fehlern, von Schmerz und
Freude, von Licht und Dunkelheit und allem dazwischen erzählten.
Lebensworte.
Mit jedem Strich hauchte er der Wand mehr und mehr Leben
ein. Schon nach einer kleinen Weile schien sie zu tanzen, sie singen,
zu lachen, zu weinen. Mit jedem Buchstaben wurde sie schöner. Schon
nach wenigen Minuten war sie so schön, dass sie eigentlich nicht
mehr schöner werden konnte und doch wurde sie es, immer schöner und
schöner. Mit jedem Wort wuchs der Raum. Es dauerte nicht lange, da
dehnte er sich bereits in Endlose aus und nichts würde ihn aufhalten
können.
All das erschuf er – Leben, Schönheit, Unendlichkeit.
Er erschuf es allein aus weißer Leere und Worten.
Lächelnd schrieb und schrieb er und selbst als er
dachte, er hätte keine Worte mehr, es wären keine mehr übrig,
schrieb er weiter und weiter und es wurden immer mehr und mehr Worte.
Der Raum, den er erschuf, wurde größer und größer. Es war nicht
bloß ein Raum. Es war eine eigene Welt. Er erschuf eine ganz eigene
Welt. Aus dem weißen, leeren Raum, den er vorgefunden hatte, machte
er etwas, dass lebendiger, schöner und größer nicht sein könnte.
Mit vielen Räumen schon hatte er das gemacht und es
würden noch viele folgen. Manchmal waren sie kleiner, manchmal
größer. Doch die Größe des Raumes selbst spielte keine Rolle,
denn selbst aus dem kleinsten Raum, einem Fitzelchen weißen, leeren
Papiers würde er ein ganzes Universum schaffen können.
Es bedurfte nur einem einzigen Strich, um Leben zu
erschaffen, um der Leere Atem einzuhauchen, sie zu füllen.
Er lächelte noch strahlender, soweit das möglich war,
als der Raum bis an den Rand mit Worten gefüllt war. Ob er schon
fertig war, wusste er nicht. Das konnte man nie wissen. Vielleicht
würde er wiederkommen und etwas ändern oder hinzufügen. Man konnte
es nie wissen.
Deshalb ließ er die Tür offen, als er ging. Wenn er
das Bedürfnis verspüren sollte, würde er zurückkommen. Schon
allein, um zu sehen, was aus seiner Welt geworden war, würde er
zurückkommen.
Doch vorher warteten noch viele, viele andere weiße,
leere Räume darauf, von ihm gefüllt und belebt zu werden. Niemals
würde er damit aufhören. Das könnte er nicht. Eher würde er
sterben. Eher würde er an seinen eigenen Worten und ihrer
Unendlichkeit ersticken.
Welten zu erschaffen, das war sein Leben. Nichts anderes
konnte er sich vorstellen. Nichts anderes würde er je tun. Das war
sein Schicksal, der Sinn seiner Existenz. Und wer würde sich ohne
ihn um all diese Welten kümmern? Was würde ohne ihn aus all den
noch nicht existierenden Welten passieren? Und wer wäre er, ohne
diese Welten?
Er wäre nichts. Sie waren nichts. Sie brauchten
einander, seine Welten und er. Sie brauchten einander, um zu leben.
Bei dem nächsten leeren, weißen Raum, den er betrat,
brauchte er nicht zu überlegen. Er fing einfach an. Manchmal war es
leicht, manchmal war es schwer. Doch eines war es immer und zwar
schön. Nichts war schöner, als Leben zu schenken.
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