Ja... ähm... Ist etwas seltsam geworden? Eigentlich wollte ich das etwas anders, aber na ja.
Trotzdem viel Spaß beim Lesen. :)
Wort: Traum
Wörter: 1344
Die Fantasie eines Kindes
Als Kind hatte ich mal gedacht, dass ich mit 30 ein
erfolgreicher Geschäftsmann sein würde, mit einer Frau verheiratet
wäre und schon ein oder vielleicht auch zwei Kinder hätte. Auf
diese Weise hatte ich Erwachsene gesehen.
Als ich etwas älter wurde, dachte ich noch immer so.
Erwachsene waren doch pflichtbewusst und um Sicherheit bemüht. Sie
machten eine Ausbildung oder studierten und suchten sich dann einen
Job. Irgendwie dabei fanden sie jemandem, mit dem sie ihr Leben
verbringen wollten und dann wurde geheiratet und ein Haus gekauft und
man wollte Kinder und das war dann das Leben.
Ich hatte das nicht als etwas Schlimmes angesehen. So
war es eben. Das war es, was man im Leben erreichen sollte – einen
tollen Job und eine Familie. Ich stellte es mir vor. Ich wollte diese
Dinge selbst für mich erreichen. Warum auch nicht? Es klang ganz gut
und die Vorstellung war auch recht schön. Ich glaubte, dass es etwas
für mich wäre. Ich wusste nicht, was ich sonst groß machen sollte.
Doch das, was ich mir da als meine Zukunft vorstellte,
war schlicht und ergreifend das, was die Gesellschaft von ihren
Bürgern erwartet.
Das stellte ich fest, als ich auf die Oberstufe kam und
langsam mehr von der Welt mitbekam, mich mehr für die Welt zu
interessieren begann. Diese Interessenphase war aber dann auch recht
schnell wieder überwunden, denn ich stellte noch etwas fest: die
Welt war schrecklich. Alles war irgendwie schlimm und schlecht und
überhaupt gab es überall nur Leid und Grenzen und Regeln,
Richtlinien, Gesetze.
Ich geriet in eine Punk-Phase, so nannten es meine
Eltern. Gleichzeitig geriet ich auch in eine ''Ich will mal
ausprobieren, wie es ist, bi oder schwul zu sein''-Phase, die
eigentlich eher eine ''Vielleicht bin ich gar nicht hetero''-Phase
war. Eine Phase war allerdings keins davon, denn was anfing, als ich
15 oder 16 war, ist jetzt, mit 30 immer noch ganz aktuell.
Und ich habe mir etwas zurückgeholt, was die
Gesellschaft, die Brutalität dieser Welt mir gestohlen hatte – die
Fähigkeit zu träumen.
Denn je länger ich mich von all dem Hässlichen hatte
abschrecken lassen umso farbloser war alles geworden. Es war mir
Trist erschienen, alles, mein Leben, die Welt, die Zukunft. Ich
wollte keine Zukunft mehr, wollte kein Jetzt. Nichts hatte mehr einen
wirklichen Sinn für mich ergeben.
Bis ich mit 18 an einer Tankstelle einen 16 jährigen
Jungen traf. Mir war die Cola ausgegangen und ich hatte die Nacht
durchschreiben wollen. Das hatte ich für mich entdeckt – das
Schreiben. Aber ich hatte nicht das Gefühl sonderlich gut zu sein
und ich schrieb eigentlich nur düsteren Blödsinn.
Seufzend betrat ich den Laden. Cola würde mich
hoffentlich wieder etwas motivieren. Gezielt steuerte ich das Regal
mit den Getränken an. Von rechts kam ein Junge mit einer grauen
Mütze auf dem Kopf und großen Kopfhörern auf den Ohren. Er schaute
zu Boden und ich konnte nicht so schnell reagieren, da war er schon
in mich reingelaufen.
„Oh, Entschuldigung!“, stieß er hervor, zog sich
die Kopfhörer von den Ohren und blickte mir ins Gesicht. Meine
Lippen teilten sich. Er hatte tiefblaue Augen, die schimmerten, als
würde die Welt in ihnen liegen. Nicht die brutale Welt, wie ich sie
zu sehen gelernt hatte. Nein, in seinen Augen lag eine strahlende,
verheißungsvolle Welt.
Am liebsten hätte ich ihn auf der Stelle geküsst.
Stattdessen starrte ich ihn einfach an und er starrte mich an und die
Minuten verstrichen.
„Ähm“, sagte er schließlich. „Ich geh dann mal
bezahlen, sonst merkt mein Vater noch, dass ich weg bin.“
Er wollte sich an mir vorbeischieben, aber ich fasste
ihn am Arm. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich sagen
wollte. Ich wusste nur, dass ich ihn vielleicht nie wiedersehen
würde. Ich durfte diese Chance nicht verstreichen lassen.
„Hast du Lust, was mit mir zu machen? Nur reden oder
so. Ich weiß auch nicht, irgendwas halt.“
Das war der wohl lahmste Anmach- Schrägstrich nach
einem Date fragen Spruch überhaupt. Aber es klappte überraschender
Weise. Er nickte und lächelte das süßeste Lächeln, das ich je
gesehen hatte.
Wir setzten uns auf eine Bank auf der gegenüberliegenden
Straßenseite und redeten die ganze Nacht. Er war... Ich kann es
nicht beschreiben. Alles, was er sagte, alles, was er war, seine
ganze Person entfachte ein Feuer in mir.
Als es schon beinahe dämmerte, tauschten wir Nummern
und verabschiedeten uns voneinander. Er legte die Arme um meinen
Nacken und lächelte süß. Er war etwas kleiner als ich und musste
sich deshalb auf die Zehenspitzen stellen. Ich beugte mein Gesicht
seinem entgegen. Bevor unsere Lippen sich berührten, sagte er: „Mit
diesem Kuss schenke ich dir die Fähigkeit, zu träumen.“
Der Kuss war unglaublich. Ich hatte schon vorher relativ
viel geküsst und da waren auch sehr gefühlvolle Küsse dabei
gewesen, aber es hatte sich noch nie so... magisch angefühlt.
Wir lösten uns voneinander. Ich schlug die Augen wieder
auf und mit einem Mal sah alles anders aus, besser, lebendiger.
„Bis bald“, flüsterte er und sein ehrliches Lächeln
hatte auch etwas geheimnisvolles, genauso wie das Blitzen in seinen
Augen.
„Bis bald“, erwiderte ich und sah ihm nach, als er
davon ging. Ich hätte ihn nach Hause bringen sollen. Es war spät,
also früh. So spät, dass es schon früh war. Ich hätte ihm folgen
können, aber ich spürte, dass er auf sich selbst aufpassen konnte.
Außerdem war ich müde. Zuhause fiel ich erschöpft ins
Bett. Und dann träumte ich. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten träumte
ich in den strahlendsten, lebendigsten Farben. Nie zuvor hatte sich
ein Traum so echt angefühlt und ich vergaß keine Sekunde davon. Es
war fast, als wäre es gar kein Traum gewesen. Als wäre es eine
andere, sehr absurde Realität.
Ich fand heraus, dass es das tatsächlich war. Bei
unserem nächsten Treffen erzählte Lio mir davon. Einst war er in
die Traumwelt eingeladen worden und mit dem Kuss hatte er mich
eingeladen. Normalerweise konnten nur Kinder diese Welt betreten. Die
Welt der Träume bestand aus der Fantasie der Kinder, weshalb sich
immer wieder etwas veränderte und etwas Neues hinzu kam.
Als ich jetzt, 12 Jahre später, mit 30 Jahren, mich
neben Lio in das große Bett in unserer Wohnung legte, betrachtete
ich lächelnd sein schlafendes Gesicht. Wie die Traumwelt wohl heute
aussah? Ob wir uns sehen würden?
Ich schloss die Augen und schlief ein. In der Traumwelt
fand ich mich in Mitten unzähliger Lichtpunkte wieder. Wie ein Meer
umgaben sie mich. Sie schienen überall zu sein und als ich ein paar
Schritte ging, waren sie auch dort. Überall waren diese Lichtpunkte.
Ich streckte die Hand aus, um einen von ihnen zu berühren und er
setzte sich auf meinen Finger. Es war ein Glühwürmchen. Es waren
alles Glühwürmchen. Als ich den Kopf in den Nacken legte, konnte
ich den dunklen Nachthimmel sehen.
Lächelnd streckte ich meine Hände aus. Ich wusste
instinktiv, wie dieser Traum funktionierte. Natürlich, ich kannte
die Traumwelt inzwischen schon seit 12 Jahren und als Kind hatte ich
sie schließlich auch gekannt. Es war ganz einfach. Man musste sich
nur auf seinen Instinkt, sein Bauchgefühl verlassen. Das, was
Erwachsene verloren. Das, was einen seine Träume erreichen ließ.
Die Glühwürmchen flogen um mich herum, während ich
selbst dem Himmel entgegen flog. Irgendwann verschwanden die
tanzenden Lichtern und wurden ersetzt durch funkelnde Sterne. Auch
nach ihnen streckte ich die Hand aus, berührte sie, fühlte sie,
fühlte die Kraft, die ihnen innewohnte.
Ich hörte ein helles Lachen und drehte mich um. Ein
kleines Wesen mit Flügeln flog davon. Ich folgte ihm und landete in
einer Schar aus Feen, die zu einer lieblichen Musik tanzten. Ich
schloss mich ihnen an und wir tanzten zusammen mit den Glühwürmchen.
Und während die Sterne mit den Glühwürmchen um die Wette
funkelten, lächelte mich der Mond an.
Ich erzählte dem Mond, wie glücklich ich war, hier
sein zu können. Wie glücklich ich war, Lio getroffen zu haben. Wie
glücklich ich war, träumen zu können.
Das Lächeln des Mondes wurde breiter und er sagte: „Du,
mit der Fantasie und dem Herzen eines Kindes wirst es noch sehr weit
bringen. Höre bloß nie auf, zu träumen.“
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