Mittwoch, 20. Mai 2015

52/52 Challenge: Seelenschwert

Hallo. :D
Das hier ist die 31. Kurzgeschichte.
Und es ist die Fortsetzung der 4. Kurzgeschichte. ;D
Das ist die hier: Seelenfeuer.

Wort: Schwert
Wörter: 1791


Seelenschwert

An eine Hauswand gelehnt beobachtete ich den Markt. Ich hielt nach dem alten Mann Ausschau. Der Mann, der mir vom wahren Grund für den Tod meiner Eltern erzählt hatte. Der Mann, der mir erzählt hatte, dass meine Eltern gar nicht meine Eltern waren und ich der Nachkomme von Drachenkriegern war.
Ich hoffte, dass ich Glück hatte und er noch am Leben war. Es war gut möglich, dass ihn, wer auch immer meine Eltern getötet hatte, auch ihn getötet hatte, weil er ebenso nicht hatte verraten wollen, wo ich mich aufhielt. Da ich davon ausging, dass er mein leiblicher Großvater war, wusste ich, dass er mich nicht verraten würde. Doch etwas von ihm erfahren könnte ich auch nicht mehr, wenn er schon tot sein sollte.
Ich verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. Na ja, ich würde schon eine andere Möglichkeit finden, um an die Informationen zu kommen, die ich benötigte. Es würde nur um einiges mühseliger sein, sie zu beschaffen.
„Was willst du machen, wenn er heute nicht auftaucht?“, fragte mein älterer Bruder neben mir. Ach nein, er war ja gar nicht mein Bruder. Trotzdem, ihn als solchen zu bezeichnen war am Einfachsten.
„Dann werde ich weiter rumfragen, ob jemand weiß, wo er wohnt. Vielleicht ist er dort oder wir finden dort zumindest Informationen“, erklärte ich. Was dachte er denn, was ich tun würde? Aber ich ärgerte mich nicht über ihn. Da sprachen Gefühle aus ihm. Da sprach seine Seele. Ich hatte keine Seele mehr.
„Und danach?“, wollte er weiter wissen. Konnte er sich das wirklich nicht denken? Ich schaute zu ihm rüber. Er konnte es sich denken, aber es gefiel ihm nicht. Gefühle waren so lästig. Gut, dass ich keine mehr besaß.
„Danach werde ich den Informationen nachgehen“, erwiderte ich.
„Und dann?“
Ich verdrehte die Augen. „Wenn ich das Schwert gefunden habe, werde ich den Drachen töten.“
Mein älterer Bruder, der nicht mein älterer Bruder war, zog die Augenbrauen zusammen und senkte den Blick. Er sah aus, als würde er angestrengt nachdenken. Aber ich kannte ihn mein ganzes Leben lang und seelenlos zu sein, hieß nicht, dass ich all das Wissen über ihn vergessen hatte. Er dachte nicht darüber nach, was ich tun würde, sondern, wie er mich davon abhalten konnte. Er fragte sich, ob es noch eine andere Lösung gab.
„Ich mag jetzt stärker sein. Aber ich brauche das Schwert und ich muss diesen Drachen töten.“ Meine Worte ließen keinen Widerspruch zu. Wortlos sah er mich an, versuchte mich allein durch seinen Blick zu bekehren. Ich erwiderte ihn ungerührt. Mit Gefühlen konnte er mich nicht erreichen. Um Gefühle empfinden zu können, brauchte es eine Seele. Doch die hatte ich gegen Stärke eingetauscht, um den Drachen töten zu können.
Ich ließ meinen Bruder hinter mir zurück, als ich einmal den Marktplatz überquerte. Es war schon spät. Die meisten Ständebesitzer packten bereits ihre Sachen. Wenn er heute auch nicht kam, war ihm vermutlich tatsächlich etwas zugestoßen. Wie ärgerlich.
Doch gerade als ich mich umdrehte, erblickte ich den Mann. Er lächelte, als er mich sah. Ich konnte es nicht erwidern. Als er das merkte, gefror auch sein Lächeln und ich wusste, dass er wusste, was ich getan hatte. Es interessierte mich nicht, was er über mich dachte. Ich wollte nur die Informationen.
Und er gab sie mir. Wir gingen zu ihm und er klärte mich auf, wie viel Wahrheit hinter den Geschichten über das berüchtigte Drachentöterschwert steckte. Zuletzt erzählte er von einem Antiquar, der eine alte Karte besaß, die uns zu dem als verschollen geltenden Schwert führen sollte.
„Aber sei vorsichtig! Das Schwert ist verflucht und die Leute, die deine Eltern getötet haben, Cendrik, werden sehr bald auch hinter dir her sein“, mahnte der alte Mann, der mir nicht erzählt hatte, dass er mein Großvater war, aber so wie er über meine eingetauschte Seele Bescheid wusste, wusste ich darüber Bescheid, dass er mein Großvater war. Dieses stumme Verständnis war sehr nützlich. Ersparte unnötige Plapperei.
„Was für einen Fluch kann es schon für einen Seelenlosen geben“, lachte ich über seine Warnung und nahm das kleine Pergamentstück, auf das er mir die Adresse des Antiquars geschrieben hatte, entgegen und steckte es in meine Hosentasche. Ohne eine Verabschiedung verließ ich den Laden.
Zuhause wartete mein nervöser Nicht-Bruder auf mich und meinte, er habe ein Recht, sich darüber aufzuregen, dass er nicht gewusst hatte, wo ich war. Er hielt mir ernsthaft eine Predigt. Ich sagte nichts, hörte ihm aber auch nicht zu. Es war lächerlich, dass er dachte, er könne mir irgendetwas vorschreiben. Ich war ein Nachkomme der Drachenkrieger, der eine einzige, letzte Nachkomme. Ich war etwas besonderes und ich würde diesen Drachen töten. Ich würde dieses Schwert finden und diesen Drachen töten.
Es gab keinen anderen Gedanken mehr, während wir uns auf die Suche nach dem Schwert machten. Der Junge, der Jahre lang mein älterer Bruder gewesen war, bestand darauf mitzukommen. Er würde mir nur ein Klotz am Bein sein. Vielleicht konnte ich ihn irgendwie loswerden. Als auch noch sein bester Freund mitkommen wollte, wollte ich verneinen und alleine losziehen. Alleine war ich am Ungehindertsten. Gefühle waren immer ein Hindernis.
Doch als sich auch noch das Mädchen, von dem ich wusste, dass sie sehr gut mit dem Bogen umgehen konnte und für mich schwärmte, uns anschließen wollte, entschied ich, dass es zu aufwendig war, sie alle loszuwerden oder vom Hierbleiben zu überzeugen. Vielleicht würden sie mir noch nützlich sein.
Tatsächlich erwiesen sie sich als ziemlich unnütz und ziemlich nervig. Bei jeder Gelegenheit durchkreuzten sie meine Pläne und ich war gezwungen, auf sie Rücksicht zu nehmen.
Als wir bei dem Antiquar ankamen, stellte sich heraus, dass er vor einem Monat gestorben war. Altersschwäche, sagte man uns. Ich glaubte es nicht. In seinem Laden und seinem kleinen Haus ließ sich keine Karte finden. Wir suchten alles ab. Da half mein Anhängsel vielleicht doch ein wenig. Acht Augen sahen mehr, als Zwei.
Das Mädchen mit den Bogenkünsten und den Gefühlen für mich bestand darauf, dass wir das Grab des Antiquar besuchten. Ich hielt es für Zeitverschwendung, ging aber gezwungenermaßen mit ihr und den anderen. Ich musste mir etwas überlegen, eine neue Spur finden. Wo ich das tat, spielte keine Rolle.
Wir standen ziemlich lange vor dem Grabstein. Während die anderen auf den beschrifteten Stein und die schon halb verwelkten Blumen in der Metallvase blickten, hatte ich die Hände in meine Hosentaschen geschoben und dachte, dass es wohl das Klügste wäre, wenn wir uns im Dorf etwas umhören würden.
Geschmiedet durchs Leben
Im Garten will ich liegen
Verflucht durch den Tod
Die Blätter des Baumes rascheln im Wind“, las das Mädchen, das mit uns gekommen war.
„Das ist ein Hinweis“, stellte ich überrascht fest. Sie nickte lächelnd.
Wir besuchten noch einmal das Haus des Mannes und wurden tatsächlich in seinem kleinen Garten unter einem krüppeligen Baum fündig. Zwischen den großen Ästen, die aus dem Boden hervorragten, hatte er eine unscheinbare Holzkiste versteckt. Sie war schmal und länglich und besaß somit genau die richtige Größe. Und wirklich, es handelte sich um die Karte.
Ich rollte sie aus und sah schon auf den ersten Blick, dass wir einen langen, beschwerlichen Weg vor uns hatten. Doch ich fragte mich nicht eine Sekunde, ob es das wert war. Ich musste den Drachen töten, um jeden Preis. Das war meine Aufgabe, meine Bestimmung als Drachenkrieger.
Also begaben wir uns auf die Reise. Es war eine turbulente und anstrengende Reise, die von allen so einiges forderte. Aber ich hatte niemanden dazu gezwungen, mit mir zu kommen. Sie konnten jeder Zeit gehen. Doch sie taten es nicht.
Sie taten es nicht und schließlich erreichten wir das Höhlensystem tief in den Bergen, wo das Schwert verborgen sein sollte. Auch dieser letzte Schritt der Reise zehrte an unseren Kräften. Uns ging der Proviant aus und wir mussten uns das Wasser sehr gut einteilen. Doch wir schafften es.
Die Höhle, in der sich das Schwert verbarg, konnte nur von einem Drachenkrieger geöffnet werden. Der Zugang befand sich versteckt in einer Wand. Vor langer Zeit hatte jemand einen Zauber auf die Höhle gelegt, um sie zu verbergen. Drachenkrieger besaßen Magie. Sie floss in meinen Adern und dadurch, dass ich meine Seele gegen Stärke getauscht hatte, sollte ich genug Zauberkraft besitzen, um die Höhle öffnen zu können.
Ich legte beide Hände an unterschiedliche Stellen auf der Höhlenwand und murmelte mit geschlossenen Augen die Worte, die auf der Karte standen. Es brauchte einige Versuche, doch letztendlich öffnete sich der Durchgang. Der Berg erbebte. Zuerst war es nur die Wand, die unter meinen Händen zu vibrieren begann. Es folgte der Boden, sodass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Auch die Decke und die gegenüberliegende Wand, der ganze Tunnel, der ganze Berg bebten, während wie von Zauberhand ein Teil der Wand vor mir verschwand.
Eine Höhle tat sich dahinter auf. In die Höhlenwand am anderen Ende der Höhle war ein gläserner Kasten eingelassen. Darin befand sich das Schwert.
Ohne zu Zögern ging ich darauf zu. Etwas stand außen auf dem Glaskasten geschrieben.
Fürchtet euch.
Denn dies ist das Schwert,
das Drachen tötete.
Ich nahm an, dass sich auch der Glaskasten nur mit Magie öffnen ließ, da ich keinen Verschluss finden konnte. Wie bei der Wand legte ich beide Hände auf das Glas. Dieses Mal murmelte ich keine Worte. Ich stellte mir bloß vor, wie das Glas unter meinen Händen verschwand. Wie es zersplitterte. Wie die Scherben mir ins Fleisch schnitten und es mich nicht im geringsten interessierte. Wie das Glas klirrend zu Boden fiel.
Bevor einer der anderen die Inschrift auf dem Glas lesen konnte, passierte es. Feine Linien, Risse zogen sich durch das Glas und dann zerbrach es in unzählige, kleine Einzelteile, die klirrend auf dem Höhlenboden aufschlagen.
„Wir müssen hier raus!“, rief der beste Freund meines Nicht-Bruders hinter mir. „Es wird alles einstürzen!“ Er hatte wohl recht. Der Boden, die Wände, die Decke, es bebte nach wie vor alles.
Da das Glas mich nun nicht länger daran hinderte, umschloss ich mit einer Hand den schwarzen Griff. Energie schoss durch meinen Körper, magische Energie. Es war so heftig, dass kurz alles schwarz würde, als würde ich in Ohnmacht fallen.
Doch das Gefühl ließ zum Glück rasch wieder nach und ich folgte den anderen aus dem Höhlensystem. Da wir unseren Hinweg an den Wänden markiert hatten, war es ein Leichtes wieder raus zu finden.
Das Erste, was ich tat, als wir weit genug vom Berg entfernt waren, war das Schwert zu betrachten und in den Händen zu wiegen. Es war leicht. Meine Hände konnten perfekt den Griff umschließen. Es war ein beidhändiges, großes Schwert, dessen Klinge von einer schwarzen Schicht überzogen zu sein schien. Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf dem glatten Metall.
Ich lächelte. Jetzt konnte ich mein Schicksal erfüllen.

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