Das hier ist die 31. Kurzgeschichte.
Und es ist die Fortsetzung der 4. Kurzgeschichte. ;D
Das ist die hier: Seelenfeuer.
Wort: Schwert
Wörter: 1791
Seelenschwert
An eine Hauswand gelehnt beobachtete ich den Markt. Ich
hielt nach dem alten Mann Ausschau. Der Mann, der mir vom wahren
Grund für den Tod meiner Eltern erzählt hatte. Der Mann, der mir
erzählt hatte, dass meine Eltern gar nicht meine Eltern waren und
ich der Nachkomme von Drachenkriegern war.
Ich hoffte, dass ich Glück hatte und er noch am Leben
war. Es war gut möglich, dass ihn, wer auch immer meine Eltern
getötet hatte, auch ihn getötet hatte, weil er ebenso nicht hatte
verraten wollen, wo ich mich aufhielt. Da ich davon ausging, dass er
mein leiblicher Großvater war, wusste ich, dass er mich nicht
verraten würde. Doch etwas von ihm erfahren könnte ich auch nicht
mehr, wenn er schon tot sein sollte.
Ich verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. Na
ja, ich würde schon eine andere Möglichkeit finden, um an die
Informationen zu kommen, die ich benötigte. Es würde nur um einiges
mühseliger sein, sie zu beschaffen.
„Was willst du machen, wenn er heute nicht
auftaucht?“, fragte mein älterer Bruder neben mir. Ach nein, er
war ja gar nicht mein Bruder. Trotzdem, ihn als solchen zu bezeichnen
war am Einfachsten.
„Dann werde ich weiter rumfragen, ob jemand weiß, wo
er wohnt. Vielleicht ist er dort oder wir finden dort zumindest
Informationen“, erklärte ich. Was dachte er denn, was ich tun
würde? Aber ich ärgerte mich nicht über ihn. Da sprachen Gefühle
aus ihm. Da sprach seine Seele. Ich hatte keine Seele mehr.
„Und danach?“, wollte er weiter wissen. Konnte er
sich das wirklich nicht denken? Ich schaute zu ihm rüber. Er konnte
es sich denken, aber es gefiel ihm nicht. Gefühle waren so lästig.
Gut, dass ich keine mehr besaß.
„Danach werde ich den Informationen nachgehen“,
erwiderte ich.
„Und dann?“
Ich verdrehte die Augen. „Wenn ich das Schwert
gefunden habe, werde ich den Drachen töten.“
Mein älterer Bruder, der nicht mein älterer Bruder
war, zog die Augenbrauen zusammen und senkte den Blick. Er sah aus,
als würde er angestrengt nachdenken. Aber ich kannte ihn mein ganzes
Leben lang und seelenlos zu sein, hieß nicht, dass ich all das
Wissen über ihn vergessen hatte. Er dachte nicht darüber nach, was
ich tun würde, sondern, wie er mich davon abhalten konnte. Er fragte
sich, ob es noch eine andere Lösung gab.
„Ich mag jetzt stärker sein. Aber ich brauche das
Schwert und ich muss diesen Drachen töten.“ Meine Worte ließen
keinen Widerspruch zu. Wortlos sah er mich an, versuchte mich allein
durch seinen Blick zu bekehren. Ich erwiderte ihn ungerührt. Mit
Gefühlen konnte er mich nicht erreichen. Um Gefühle empfinden zu
können, brauchte es eine Seele. Doch die hatte ich gegen Stärke
eingetauscht, um den Drachen töten zu können.
Ich ließ meinen Bruder hinter mir zurück, als ich
einmal den Marktplatz überquerte. Es war schon spät. Die meisten
Ständebesitzer packten bereits ihre Sachen. Wenn er heute auch nicht
kam, war ihm vermutlich tatsächlich etwas zugestoßen. Wie
ärgerlich.
Doch gerade als ich mich umdrehte, erblickte ich den
Mann. Er lächelte, als er mich sah. Ich konnte es nicht erwidern.
Als er das merkte, gefror auch sein Lächeln und ich wusste, dass er
wusste, was ich getan hatte. Es interessierte mich nicht, was er über
mich dachte. Ich wollte nur die Informationen.
Und er gab sie mir. Wir gingen zu ihm und er klärte
mich auf, wie viel Wahrheit hinter den Geschichten über das
berüchtigte Drachentöterschwert steckte. Zuletzt erzählte er von
einem Antiquar, der eine alte Karte besaß, die uns zu dem als
verschollen geltenden Schwert führen sollte.
„Aber sei vorsichtig! Das Schwert ist verflucht und
die Leute, die deine Eltern getötet haben, Cendrik, werden sehr bald
auch hinter dir her sein“, mahnte der alte Mann, der mir nicht
erzählt hatte, dass er mein Großvater war, aber so wie er über
meine eingetauschte Seele Bescheid wusste, wusste ich darüber
Bescheid, dass er mein Großvater war. Dieses stumme Verständnis war
sehr nützlich. Ersparte unnötige Plapperei.
„Was für einen Fluch kann es schon für einen
Seelenlosen geben“, lachte ich über seine Warnung und nahm das
kleine Pergamentstück, auf das er mir die Adresse des Antiquars
geschrieben hatte, entgegen und steckte es in meine Hosentasche. Ohne
eine Verabschiedung verließ ich den Laden.
Zuhause wartete mein nervöser Nicht-Bruder auf mich und
meinte, er habe ein Recht, sich darüber aufzuregen, dass er nicht
gewusst hatte, wo ich war. Er hielt mir ernsthaft eine Predigt. Ich
sagte nichts, hörte ihm aber auch nicht zu. Es war lächerlich, dass
er dachte, er könne mir irgendetwas vorschreiben. Ich war ein
Nachkomme der Drachenkrieger, der eine einzige, letzte Nachkomme. Ich
war etwas besonderes und ich würde diesen Drachen töten. Ich würde
dieses Schwert finden und diesen Drachen töten.
Es gab keinen anderen Gedanken mehr, während wir uns
auf die Suche nach dem Schwert machten. Der Junge, der Jahre lang
mein älterer Bruder gewesen war, bestand darauf mitzukommen. Er
würde mir nur ein Klotz am Bein sein. Vielleicht konnte ich ihn
irgendwie loswerden. Als auch noch sein bester Freund mitkommen
wollte, wollte ich verneinen und alleine losziehen. Alleine war ich
am Ungehindertsten. Gefühle waren immer ein Hindernis.
Doch als sich auch noch das Mädchen, von dem ich
wusste, dass sie sehr gut mit dem Bogen umgehen konnte und für mich
schwärmte, uns anschließen wollte, entschied ich, dass es zu
aufwendig war, sie alle loszuwerden oder vom Hierbleiben zu
überzeugen. Vielleicht würden sie mir noch nützlich sein.
Tatsächlich erwiesen sie sich als ziemlich unnütz und
ziemlich nervig. Bei jeder Gelegenheit durchkreuzten sie meine Pläne
und ich war gezwungen, auf sie Rücksicht zu nehmen.
Als wir bei dem Antiquar ankamen, stellte sich heraus,
dass er vor einem Monat gestorben war. Altersschwäche, sagte man
uns. Ich glaubte es nicht. In seinem Laden und seinem kleinen Haus
ließ sich keine Karte finden. Wir suchten alles ab. Da half mein
Anhängsel vielleicht doch ein wenig. Acht Augen sahen mehr, als
Zwei.
Das Mädchen mit den Bogenkünsten und den Gefühlen für
mich bestand darauf, dass wir das Grab des Antiquar besuchten. Ich
hielt es für Zeitverschwendung, ging aber gezwungenermaßen mit ihr
und den anderen. Ich musste mir etwas überlegen, eine neue Spur
finden. Wo ich das tat, spielte keine Rolle.
Wir standen ziemlich lange vor dem Grabstein. Während
die anderen auf den beschrifteten Stein und die schon halb verwelkten
Blumen in der Metallvase blickten, hatte ich die Hände in meine
Hosentaschen geschoben und dachte, dass es wohl das Klügste wäre,
wenn wir uns im Dorf etwas umhören würden.
„Geschmiedet durchs Leben
Im
Garten will ich liegen
Verflucht
durch den Tod
Die
Blätter des Baumes rascheln im Wind“,
las das Mädchen, das mit uns gekommen war.
„Das ist ein Hinweis“, stellte ich überrascht fest.
Sie nickte lächelnd.
Wir besuchten noch einmal das Haus des Mannes und wurden
tatsächlich in seinem kleinen Garten unter einem krüppeligen Baum
fündig. Zwischen den großen Ästen, die aus dem Boden hervorragten,
hatte er eine unscheinbare Holzkiste versteckt. Sie war schmal und
länglich und besaß somit genau die richtige Größe. Und wirklich,
es handelte sich um die Karte.
Ich rollte sie aus und sah schon auf den ersten Blick,
dass wir einen langen, beschwerlichen Weg vor uns hatten. Doch ich
fragte mich nicht eine Sekunde, ob es das wert war. Ich musste den
Drachen töten, um jeden Preis. Das war meine Aufgabe, meine
Bestimmung als Drachenkrieger.
Also begaben wir uns auf die Reise. Es war eine
turbulente und anstrengende Reise, die von allen so einiges forderte.
Aber ich hatte niemanden dazu gezwungen, mit mir zu kommen. Sie
konnten jeder Zeit gehen. Doch sie taten es nicht.
Sie taten es nicht und schließlich erreichten wir das
Höhlensystem tief in den Bergen, wo das Schwert verborgen sein
sollte. Auch dieser letzte Schritt der Reise zehrte an unseren
Kräften. Uns ging der Proviant aus und wir mussten uns das Wasser
sehr gut einteilen. Doch wir schafften es.
Die Höhle, in der sich das Schwert verbarg, konnte nur
von einem Drachenkrieger geöffnet werden. Der Zugang befand sich
versteckt in einer Wand. Vor langer Zeit hatte jemand einen Zauber
auf die Höhle gelegt, um sie zu verbergen. Drachenkrieger besaßen
Magie. Sie floss in meinen Adern und dadurch, dass ich meine Seele
gegen Stärke getauscht hatte, sollte ich genug Zauberkraft besitzen,
um die Höhle öffnen zu können.
Ich legte beide Hände an unterschiedliche Stellen auf
der Höhlenwand und murmelte mit geschlossenen Augen die Worte, die
auf der Karte standen. Es brauchte einige Versuche, doch letztendlich
öffnete sich der Durchgang. Der Berg erbebte. Zuerst war es nur die
Wand, die unter meinen Händen zu vibrieren begann. Es folgte der
Boden, sodass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Auch die
Decke und die gegenüberliegende Wand, der ganze Tunnel, der ganze
Berg bebten, während wie von Zauberhand ein Teil der Wand vor mir
verschwand.
Eine Höhle tat sich dahinter auf. In die Höhlenwand am
anderen Ende der Höhle war ein gläserner Kasten eingelassen. Darin
befand sich das Schwert.
Ohne zu Zögern ging ich darauf zu. Etwas stand außen
auf dem Glaskasten geschrieben.
Fürchtet
euch.
Denn
dies ist das Schwert,
das
Drachen tötete.
Ich nahm an, dass sich auch der Glaskasten nur mit Magie
öffnen ließ, da ich keinen Verschluss finden konnte. Wie bei der
Wand legte ich beide Hände auf das Glas. Dieses Mal murmelte ich
keine Worte. Ich stellte mir bloß vor, wie das Glas unter meinen
Händen verschwand. Wie es zersplitterte. Wie die Scherben mir ins
Fleisch schnitten und es mich nicht im geringsten interessierte. Wie
das Glas klirrend zu Boden fiel.
Bevor einer der anderen die Inschrift auf dem Glas lesen
konnte, passierte es. Feine Linien, Risse zogen sich durch das Glas
und dann zerbrach es in unzählige, kleine Einzelteile, die klirrend
auf dem Höhlenboden aufschlagen.
„Wir müssen hier raus!“, rief der beste Freund
meines Nicht-Bruders hinter mir. „Es wird alles einstürzen!“ Er
hatte wohl recht. Der Boden, die Wände, die Decke, es bebte nach wie
vor alles.
Da das Glas mich nun nicht länger daran hinderte,
umschloss ich mit einer Hand den schwarzen Griff. Energie schoss
durch meinen Körper, magische Energie. Es war so heftig, dass kurz
alles schwarz würde, als würde ich in Ohnmacht fallen.
Doch das Gefühl ließ zum Glück rasch wieder nach und
ich folgte den anderen aus dem Höhlensystem. Da wir unseren Hinweg
an den Wänden markiert hatten, war es ein Leichtes wieder raus zu
finden.
Das Erste, was ich tat, als wir weit genug vom Berg
entfernt waren, war das Schwert zu betrachten und in den Händen zu
wiegen. Es war leicht. Meine Hände konnten perfekt den Griff
umschließen. Es war ein beidhändiges, großes Schwert, dessen
Klinge von einer schwarzen Schicht überzogen zu sein schien. Das
Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf dem glatten Metall.
Ich lächelte. Jetzt konnte ich mein Schicksal erfüllen.
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