1. Der General
2. Löwe
3. Die graue Maus
Wort: Phönix
Wörter: 1834
Schattenkrieg - Phönix
Er war der
Beeindruckenste von ihnen allen. Natürlich waren sie alle
beeindruckend. Deshalb waren sie ausgewählt worden. Deshalb gehörten
sie der speziellen Sondereinheit an. Deshalb wurden sie ausgebildet,
um gegen Schatten und die Krankheit zu kämpfen. Sie waren die
Einzigen, die es konnten. Die Einzigen, die dazu befähigt waren. Das
wurde ihnen während ihres Trainings jeden Tag mehrmals gesagt.
Zu Anfang verstand
keiner, was dieser kleine, schmächtige Junge bei ihnen sollte. Er
schien nichts besonderes zu können. Während alle anderen ihre
Fähigkeiten aktivierten, weiter entwickelten und trainierten, machte
er immer nur Ausdauertraining. Natürlich wurde jeder unterschiedlich
ausgebildet, weil jede Fähigkeit unterschiedlich war. Aber niemand
trainierte nur, in dem er die ganze Zeit joggte. Und der kleine,
schmächtige Junge tat nichts anderes!
Irgendjemand hätte
ihn einfach fragen können, aber er war ziemlich verschlossen und
immer für sich. Die Meisten wussten nicht einmal seinen Codenamen
und die, die ihn wussten, waren nur noch verwirrter dadurch oder
machten sich über ihn lustig.
„Phönix? Du
wirkst also wiederauferstehen, wenn man dich tötet oder dich super
schnell heilen können?“ Sie lachten. Sie machten sich über ihn
lustig, konnten sich nicht vorstellen, dass er zu so etwas fähig
sein sollte. Es passte nicht zu ihm. Allen anderen sah man ihre
Fähigkeiten nämlich auf die ein oder andere Weise an. Sie war
bereits ein Teil von ihnen. Der Junge aber war absolut nichtssagend,
klein und schmächtig eben und es sprach ja auch keiner mit ihm und
er auch mit niemandem, weil weder andere noch er das wollte.
Oder wollte er doch?
Manchmal sah es so aus, als würde er mit jemandem sprechen wollen,
sich dann aber dagegen entscheiden. Maus beobachtete ihn manchmal.
Sie fand ihn interessant und auf gewisse Weise sogar anziehend, nicht
auf romantische oder sexuelle Weise, sondern als Person. Er hatte
irgendetwas. Etwas, dass die anderen übersahen.
Schließlich kam der
Tag, an dem sie in einzelne Teams eingeteilt wurden und alle
gemeinsam zu dem Ort geschickt wurden, wo die Schatten zurückgekehrt
waren und die Krankheit wieder ausgebrochen war. Es war ein Dorf
irgendwo im nirgendwo auf dem Land.
Sie steckten Phönix
in das Team, die ihn am meisten verachteten und kein bisschen
glaubten, dass er irgendetwas konnte. Eigentlich waren sie natürlich
alle ein bisschen eifersüchtig, dass er so eine Sonderbehandlung
hatte und keiner seine Fähigkeiten bis jetzt gesehen hatte.
Vielleicht hatten sie sogar ein bisschen Angst. Aber solche
großkotzigen Leute wie sie würden so etwas niemals auch nur
ansatzweise zugeben. Maus wusste es nur, weil sie so gut im
Beobachten und Lesen von Menschen war.
Auch sie war in
seinem Team und sehr froh darüber. Sie könnten sich näher
kennenlernen. Also, falls er sie wahrnahm, könnten sie sich näher
kennenlernen. Direkt nachdem sie rekrutiert worden war, hatte sie
sich so wunderbar beachtet gefühlt. Endlich war sie jemand
besonderes gewesen, jemand wichtiges, jemand bedeutungsvolles. Doch
dann hatte sie erkennen müssen, dass es noch fast dreißig weitere
besondere Jugendliche gab. Sie war nur eine von Vielen, ging in dem
Meer unter. So wie immer.
Aber so wie immer
war sie nicht gewillt aufzugeben. Nicht, weil sie stark war, sondern
weil sie sich selbst nie würde genug hassen können. Ihr war das
Nicht-Beachtet-Werden im Grunde gleichgültig, so wie sie allen
gleichgültig war. Es hatte keine Bedeutung, weil nichts, das sie
war, eine Bedeutung hatte.
Phönix hatte eine
Bedeutung, eine sehr große Bedeutung. Sie spürte das ganz deutlich.
Und sie sollte Recht
behalten.
Von sich selbst
überzeugt, wie die Macho-Kerle nun mal waren, stürmten sie gleich
in das erste Haus, das sie untersuchen, überprüfen und reinigen
sollten.
Maus ist gleich
aufgefallen, dass die Stadt seltsam verlassen ist und sie weiß zwar,
so wie alle anderen, was die Schatten und die Krankheit anrichten,
dass sie die Menschen in wandelnde Tote verwandeln und sich in jedem
noch so kleinen Schatten verstecken können, aber es ist trotzdem
beängstigend und man kann gar nicht vorsichtig genug sein. Außerdem
ist Training nie ein Vergleich für die Realität.
Sie wusste also,
dass etwas passieren würde, als die Idioten das Haus stürmten. Aber
was hätte sie tun können? Sie aufhalten? Mit ihnen reden? Sie war
sich nicht einmal sicher, ob sie bemerkt hatten, dass sie in ihrem
Team war. Und Phönix konnte auch nichts ausrichten. Auf ihn würden
sie auch nicht hören.
Also blieben sie
draußen stehen, während die anderen drei in das Haus hineinliefen
und ziemlichen Krach machten. Sie konnte nur mit dem Kopf schütteln.
Dachten die etwa, das wäre ein Spiel? Sie seufzte und spürte mit
einem Mal den Blick von Phönix auf sich. Es kam so selten vor, dass
sie jemand direkt ansah, dass sie etwas zusammenzuckte.
Er lächelte leicht,
ein etwas schüchternes Lächeln. Ja, er war schüchtern, das hatte
sie auch schon beobachtet. Aber da steckte noch mehr dahinter.
„Gehen wir rein?“,
fragte er. „Irgendwer muss ja auch die Idioten aufpassen.“
Jetzt musste sie
grinsen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er sie bemerkt hatte. Er
hatte sie wirklich bemerkt. „Ja, du hast wohl recht.“
Kaum betraten sie
das Haus, passierte es. Jemand schrie, laut und durchdringend und er
hörte nicht auf. Er schrie immer weiter. Andere Stimmen waren zu
hören, weitere abgehackte Schreie, schnelle Schritte auf der Treppe.
„Was ist los?“,
fragte Phönix, als einer der anderen drei Jungen stehen bleiben
musste, weil sie ihm den Weg versperrten. Nackte Panik stand ihm ins
Gesicht geschrieben.
„Wir müssen hier
raus!“, stieß er hervor. „Wir müssen ganz schnell hier raus! Da
oben... Da oben, da ist... Da ist... der Tod.“ Sein Gesicht war
aschkahl und er zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Er sah
aus, als hätte er einen Geist gesehen, vermutlich hatte er das auch.
Denn im Grunde war es das, was mit den Opfern der Krankheit
passierte, sie wurden zu Geistern. Geister, die anderen Menschen das
Leben aussaugen konnten und sie somit selbst zu Geistern machten.
„Genau deshalb
sind wir doch hier. Wir sollen den Tod besiegen, das Haus, dieses
ganze Dorf von ihm reinigen, diese Menschen erlösen“, meinte
Phönix.
Der andere Junge
starrte ihn bloß an. „Ich gehe da nicht wieder rauf!“, sagte er
dann entschieden und schob sich an den Zwei vorbei und rannte aus dem
Haus.
„Schisser“,
murmelte Maus ihm hinterher, was ihr ein Grinsen von Phönix
einbrachte.
„Na, warten wir
mal ab, wie es dir gleich ergeht. Ich nenne dich dann auch Schisser,
wenn du wegrennst“, meinte er.
„Wenn das so ist,
mache ich das Gleiche, wenn du wegrennst“, erwiderte sie grinsend.
„Ja, eigentlich
sind wir doch alle Schisser“, sagte er und es sollte wohl lässig
klingen, hörte sich aber viel zu ernst an, als er seinen Blick auf
die Treppe richtete.
Du
nicht, dachte sie bei sich. Du
bist kein Schisser. Er hatte
Angst, ja. Seine Hand zitterte, als er mit ihr das Geländer der
Treppe umschloss und die Stufen hinaufzusteigen begann. Doch er ließ
sich nicht von seiner Angst kontrollieren, im Gegenteil. Er nutzte
sie als Antrieb. Seine Angst wurde mit jedem Schritt größer, aber
so auch seine Entschlossenheit. Sie wünschte, sie könnte ihn mehr
bewundern, als ihre eingeschränkten Gefühle es zuließen.
Oben angekommen
lauschten sie einen Moment. Der Schrei dauerte nach wie vor an, ein
durchdringender, langgezogener Ton. Wenn einer der zwei Jungs, die
noch hier oben waren, schrie, wo war dann der andere?
Sie folgten dem
Schrei zu seinem Ursprung. Es war das Schlafzimmer. Die Tür stand
weit offen und gab den Blick auf einen großen Schrank frei. Die zwei
Jungen standen davor. Der eine drückte den anderen gegen den
Schrank. Der, der gegen den Schrank gedrückt wurde, war derjenige,
der aus Leibeskräften schrie. Sein Gesicht war schmerzverzehrt, aber
wirklich erschreckend waren seine Augen. Sie waren leer, absolut
leer, ohne Pupille, weiß.
„Oh mein Gott“,
flüsterte Maus betroffen. Das Leben wurde aus ihm herausgesaugt. Es
war schon aus ihm herausgesaugt worden. Es war zu spät. Zu spät.
Sie hatten ihn verloren. Er war... tot. Es schockte sie mehr, als sie
gedacht hätte, dass es das könnte.
Phönix neben ihr
atmete tief ein und aus, immer wieder, als müsse er sich beruhigen.
Seine Hände zitterten nach wie vor, aber es wurde langsam weniger.
„Lass ihn los“,
sagte er dann, etwas zu leise. „Lass ihn los!“ Dieses Mal war
seine Stimme lauter, druchdringender. Der Junge, der den anderen
gegen den Schrank drückte, drehte sich um. Dabei fiel der Körper
des Ausgesaugten leblos zu Boden.
„W-Was hast du
vor?“, flüsterte Maus. Sie hatten Waffen bekommen. Sie hielt eine
der Pistolen in der Hand. Er hatte auch eine, aber er schien nicht
vorzuhaben, sie zu benutzen. Stattdessen streckte er seine Hand dem
Jungen entgegen.
Der Junge, der von
einem Schatten besessen war. Die, die von der Krankheit befallen
wurden, die ausgesaugt wurden, wurden zu Geistern, die immer mehr
Geister erschufen. Jene, die besessen wurden, wurden entweder auch
Geister oder verwandelten sich ebenfalls in Schatten.
Phönix sah, dass
der Junge besessen war. Seine Augen waren sehr dunkel und seine Haut
durchzogen von dunklen Linien. Das waren die Anzeichen dafür, das
jemand besessen war. Dennoch bewegte er sich und seine Hand
Millimeter für Millimeter dem Jungen entgegen und schloss
schließlich die Augen.
Er hörte Maus
irgendetwas rufen, da berührte er bereits die Stirn des Besessenen.
Augenblicklich ging eine Welle der Energie durch ihn. Sie hatten ihm
gesagt, wie es sein würde, aber er hatte es bisher noch nie gespürt.
Jetzt rauschte es durch seinen Körper, so wie sie gesagt hatten,
bloß tausend Mal intensiver. Es war so heftig, dass er aufschrie.
Ihm wurde heiß. Es brannte, auch das hatten sie ihm gesagt. Er
selbst würde brennen. Er würde brennen für jene, die eigentlich
schon verloren waren. Er würde brennen und sie zurückholen.
Als es genug war,
das konnte er spüren, löste er die Verbindung zu dem Besessenen, in
dem er seine Hand zurückzog. Dumpf ging er zu Boden. Aber er war
nicht tot, im Gegenteil. Er hatte ihm gerade das Leben gerettet. Es
kribbelte in seinen Fingerspitzen. Ein kleines Lächeln legte sich
auf seine Lippen. Dann ging er hinüber zu dem Ausgesaugtem. Wenn er
sich nicht verschätzt hatte, war es noch nicht zu spät. Noch nicht.
Er legte auch dem
anderen Jungen seine Hand auf die Stirn, schloss die Augen und
brannte für ihn, um ihn zu heilen. Ihm war schwindelig, als er
fertig war und seine Hand zurückzog.
„Den
Geist. Wir müssen noch den Geist töten“, sagte er zu Maus, die
noch immer im Türrahmen stand. Er sah sie nicken, aber sie sah so
verschwommen aus. Was war los? War das schon zu viel gewesen? Aber
wenn...
Er verlor das
Bewusstsein. Er träumte von Feuer und Asche. In seinem Traum hatte
er brennende Flügel und seine Hände waren mit schwarzer Asche
bedeckt. Das sah er in einem Spiegel, der vor ihm stand. Er sah auch,
dass er dabei war, zu verschwinden, ein Geist zu werden. Das war der
Preis. Der Preis, den er am Ende zahlen würde. Er würde brennen,
würde für sie alle brennen, um am Ende selbst einer von denen zu
werden, die es auszulöschen galt. Ironisch. Wirklich ironisch...
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