Freitag, 5. Juni 2015

52/52 Challenge: Königsspiel

Und Nr. 45. :)
Mit der ich sehr unzufrieden bin...

Wort: Katze
Wörter: 974

Königsspiel

Ich hob den Blick und sah mein Spiegelbild. Der Junge sah noch sehr jung aus, jünger als er tatsächlich war und doch wirkte er gleichzeitig zu alt. Wann war so viel Zeit vergangen? Wann war ich erwachsen geworden und warum hatte ich es nicht mitbekommen? Und wann waren meine Haare so lang geworden und meine Augen so dunkel?
Das einzig Vertraute war die dunkle Farbe meiner Haare und die schwarzen Katzenohren. Vergeblich suchte ich nach dem Licht, das sonst meine blauen Augen hatte strahlen lassen.
Seufzend wandte ich den Blick ab. Ich musste packen. Ich konnte hier in diesem Notfallversteck nicht lange bleiben. Ich war schon viel zu lange hier, fast zwei Wochen. Sie würden mich noch finden und zwingen, nach ihren Vorstellungen zu leben und wenn ich es nicht tun würden, würden sie mich umbringen. Das hatten sie mit meiner Familie getan. Sie waren alle tot. Alle.
Ich atmete tief durch, klaubte mein weniges Hab und Gut zusammen und schulterte den Seesack. Dieses Loch hier würde ich nicht vermissen. Es bestand aus nicht mehr, als einer Matratze, etwas Vorräten, einem Fenster und einem winzigen Badezimmer. Draußen würde es mir besser gehen, auch wenn ich das Alleinsein vermissen würde. Ich würde es vermissen, uneingeschränkt trauern zu können. Ich würde vor allem meine Familie vermissen. Hier drin hatte ich mir einreden können, dass sie doch noch dort draußen waren, dass alles nur ein böser Albtraum war. Draußen wartete die Realität auf mich.
Eine Realität, in der ich neben meiner toten Adoptivfamilie und meiner bei meiner Geburt gestorbenen leiblichen Mutter auch noch einen Vater hatte. Einen Vater, der mich einen Scheiß interessierte, weil er der Herrscher eines Gebiets war und die waren allesamt großkotzige Arschlöcher. Nichtsdestotrotz war er alles, was ich noch hatte und solange er nicht von irgendjemandem umgebracht worden war oder noch wurde, war ich sein Nachfahre und somit rechtmäßiger Erbe des Gebiets.
Ich wünschte, ich hätte nie angefangen, Nachforschungen über das Leben meiner Mutter anzustellen. Dann könnte ich jetzt einfach irgendwohin gehen. Irgendwohin weit weit weg und neu anfangen. Alles hinter mir lassen. Ein neues Leben beginnen.
Doch ich wollte Gerechtigkeit für meine Familie. Ich wollte nicht, dass sie nicht auf mich hätten stolz sein können. Und da ich alleine viel zu schwach war, um Rache zu nehmen, brauchte ich jemanden, der mir half und da all meine Freunde, alle, die ich liebte, ermordet worden waren, war mein ominöser, leiblicher Vater meine einzige Möglichkeit.
Also machte ich mich auf den Weg zu ihm. Mit dem klapprigen, alten Dampfzug reiste ich durch die Gebiete. Je weiter ich mich von meiner Heimat, dem Ort, wo ich aufgewachsen war, entfernte desto unwirklicher erschien mir das Ganze. Ich konnte einfach nicht realisieren, was passiert war. Ich wollte es nicht. Letztendlich blieb mir aber nichts anderes übrig. Das war jetzt mein Leben. Und es würde sich noch weit mehr ändern.
Nach fast drei Tagen Zugfahrt, der Zug fuhr die dämlichsten Umwege und hielt in jedem noch so kleinem Örtchen, kam ich endlich in dem Gebiet an, das wohl eines Tages mir gehören würde. Die Gebäude waren einfache Steinbauten, nichts besonderes. Es war kein besonderes Gebiet, nur eines von vielen. Der Name Königsland war bloß ein Name. Einen König hatte es in dieser Welt noch nie gegeben und das würde es auch nie. Katzenmenschen waren nicht dazu gemacht, beherrscht zu werden. Deshalb brachen auch immer wieder Kämpfe in den einzelnen Gebieten aus. Wahrscheinlich waren auch deshalb die Herrscher allesamt grenzenlose Arschlöcher, ihnen blieb kaum etwas anderes übrig.
Was würde ich tun, wenn ich eines Tages Herrscher über dieses Gebiet sein würde? Würde ich alles anders machen? Wäre das überhaupt möglich?
Daran konnte ich jetzt noch keinen einzigen Gedanken verschwenden. In meinem Kopf war nur Platz für die Rache, die ich für meine Familie und Freunde wollte. Und ich hatte schon etwas Angst davor, meinen leiblichen Vater kennenzulernen. Wie er wohl reagieren würde? Schließlich wusste er nichts von mir. Es sei denn er hatte mich ausfindig machen oder beschatten lassen oder ähnliches. Bei dem Gedanken wurde mir ganz anders. Das würde einem Herrscher ähnlich sehen.
Ich brauchte nicht lange suchen, bis ich das Anwesen des Herrschers über Königsland gefunden hatte. Es war das mit Abstand schickste Haus, eine Villa auf einem Hügel im Zentrum. Im Vergleich zu den anderen Häusern dieses Gebiets, kam es einem Schloss gleich. Ein weiterer Beweis dafür, was für ein Großkotz mein Vater wahrscheinlich war.
Aber als sein Sohn hatte ich Rechte und von denen würde ich Gebrauch machen. Deshalb war ich hier.
Mein Klopfen klang entschlossener, als ich mich fühlte. Als es danach eine Ewigkeit dauerte, bis mir geöffnet wurde, überlegte ich, abzuhauen. Eigentlich brauchte er nicht von mir zu erfahren. Eigentlich brauchte ich auch niemanden zu rächen. Sie wären schon froh, wenn ich ein glückliches Leben lebte. Was war ich doch für ein Feigling...
Ich hatte mich wirklich schon halb weggedreht, da wurde die Tür geöffnet.
Hier beim Herrscher über Königsland. Was kann ich für sie tun?“, sagte eine gelangweilte Jungenstimme. Ich drehte mich um. Er war nicht älter als 25, hatte dunkelbraunes Haar und müde, graue Augen. Wer war das denn? Doch nicht etwa irgendein Halbbruder von mir? Oh bitte nicht. Meine Rechte als Sohn hatte ich zwar trotzdem, aber ich hatte wirklich keine Lust, mich mit noch einem Großkotz rumzuschlagen. Wobei es wirklich sehr selten war, dass die Kinder, insbesondere eines Herrschers, bei dem Vater wohnten. Es war einfach nicht üblich.
Ich würde gerne zum Herrscher von Königsland. Ich bin sein Sohn“, sagte ich, nachdem ich die Schultern gestrafft hatte.
Der Junge mir gegenüber, der übrigens anscheinend bloß einen Bademantel trug, sah mich minutenlang einfach nur an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Empört wollte ich schon etwas sagen, aber er kam mir zuvor: „Also mein Sohn bist du ganz bestimmt nicht, Jungchen. Ich bin der Herrscher über Königsland.“

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