Mit der ich sehr unzufrieden bin...
Wort: Katze
Wörter: 974
Königsspiel
Ich hob den Blick
und sah mein Spiegelbild. Der Junge sah noch sehr jung aus, jünger
als er tatsächlich war und doch wirkte er gleichzeitig zu alt. Wann
war so viel Zeit vergangen? Wann war ich erwachsen geworden und warum
hatte ich es nicht mitbekommen? Und wann waren meine Haare so lang
geworden und meine Augen so dunkel?
Das einzig Vertraute
war die dunkle Farbe meiner Haare und die schwarzen Katzenohren.
Vergeblich suchte ich nach dem Licht, das sonst meine blauen Augen
hatte strahlen lassen.
Seufzend wandte ich
den Blick ab. Ich musste packen. Ich konnte hier in diesem
Notfallversteck nicht lange bleiben. Ich war schon viel zu lange
hier, fast zwei Wochen. Sie würden mich noch finden und zwingen,
nach ihren Vorstellungen zu leben und wenn ich es nicht tun würden,
würden sie mich umbringen. Das hatten sie mit meiner Familie getan.
Sie waren alle tot. Alle.
Ich atmete tief
durch, klaubte mein weniges Hab und Gut zusammen und schulterte den
Seesack. Dieses Loch hier würde ich nicht vermissen. Es bestand aus
nicht mehr, als einer Matratze, etwas Vorräten, einem Fenster und
einem winzigen Badezimmer. Draußen würde es mir besser gehen, auch
wenn ich das Alleinsein vermissen würde. Ich würde es vermissen,
uneingeschränkt trauern zu können. Ich würde vor allem meine
Familie vermissen. Hier drin hatte ich mir einreden können, dass sie
doch noch dort draußen waren, dass alles nur ein böser Albtraum
war. Draußen wartete die Realität auf mich.
Eine Realität, in
der ich neben meiner toten Adoptivfamilie und meiner bei meiner
Geburt gestorbenen leiblichen Mutter auch noch einen Vater hatte.
Einen Vater, der mich einen Scheiß interessierte, weil er der
Herrscher eines Gebiets war und die waren allesamt großkotzige
Arschlöcher. Nichtsdestotrotz war er alles, was ich noch hatte und
solange er nicht von irgendjemandem umgebracht worden war oder noch
wurde, war ich sein Nachfahre und somit rechtmäßiger Erbe des
Gebiets.
Ich wünschte, ich
hätte nie angefangen, Nachforschungen über das Leben meiner Mutter
anzustellen. Dann könnte ich jetzt einfach irgendwohin gehen.
Irgendwohin weit weit weg und neu anfangen. Alles hinter mir lassen.
Ein neues Leben beginnen.
Doch ich wollte
Gerechtigkeit für meine Familie. Ich wollte nicht, dass sie nicht
auf mich hätten stolz sein können. Und da ich alleine viel zu
schwach war, um Rache zu nehmen, brauchte ich jemanden, der mir half
und da all meine Freunde, alle, die ich liebte, ermordet worden
waren, war mein ominöser, leiblicher Vater meine einzige
Möglichkeit.
Also machte ich mich
auf den Weg zu ihm. Mit dem klapprigen, alten Dampfzug reiste ich
durch die Gebiete. Je weiter ich mich von meiner Heimat, dem Ort, wo
ich aufgewachsen war, entfernte desto unwirklicher erschien mir das
Ganze. Ich konnte einfach nicht realisieren, was passiert war. Ich
wollte es nicht. Letztendlich blieb mir aber nichts anderes übrig.
Das war jetzt mein Leben. Und es würde sich noch weit mehr ändern.
Nach fast drei Tagen
Zugfahrt, der Zug fuhr die dämlichsten Umwege und hielt in jedem
noch so kleinem Örtchen, kam ich endlich in dem Gebiet an, das wohl
eines Tages mir gehören würde. Die Gebäude waren einfache
Steinbauten, nichts besonderes. Es war kein besonderes Gebiet, nur
eines von vielen. Der Name Königsland war bloß ein Name. Einen
König hatte es in dieser Welt noch nie gegeben und das würde es
auch nie. Katzenmenschen waren nicht dazu gemacht, beherrscht zu
werden. Deshalb brachen auch immer wieder Kämpfe in den einzelnen
Gebieten aus. Wahrscheinlich waren auch deshalb die Herrscher
allesamt grenzenlose Arschlöcher, ihnen blieb kaum etwas anderes
übrig.
Was würde ich tun,
wenn ich eines Tages Herrscher über dieses Gebiet sein würde? Würde
ich alles anders machen? Wäre das überhaupt möglich?
Daran konnte ich
jetzt noch keinen einzigen Gedanken verschwenden. In meinem Kopf war
nur Platz für die Rache, die ich für meine Familie und Freunde
wollte. Und ich hatte schon etwas Angst davor, meinen leiblichen
Vater kennenzulernen. Wie er wohl reagieren würde? Schließlich
wusste er nichts von mir. Es sei denn er hatte mich ausfindig machen
oder beschatten lassen oder ähnliches. Bei dem Gedanken wurde mir
ganz anders. Das würde einem Herrscher ähnlich sehen.
Ich brauchte nicht
lange suchen, bis ich das Anwesen des Herrschers über Königsland
gefunden hatte. Es war das mit Abstand schickste Haus, eine Villa auf
einem Hügel im Zentrum. Im Vergleich zu den anderen Häusern dieses
Gebiets, kam es einem Schloss gleich. Ein weiterer Beweis dafür, was
für ein Großkotz mein Vater wahrscheinlich war.
Aber als sein Sohn
hatte ich Rechte und von denen würde ich Gebrauch machen. Deshalb
war ich hier.
Mein Klopfen klang
entschlossener, als ich mich fühlte. Als es danach eine Ewigkeit
dauerte, bis mir geöffnet wurde, überlegte ich, abzuhauen.
Eigentlich brauchte er nicht von mir zu erfahren. Eigentlich brauchte
ich auch niemanden zu rächen. Sie wären schon froh, wenn ich ein
glückliches Leben lebte. Was war ich doch für ein Feigling...
Ich hatte mich
wirklich schon halb weggedreht, da wurde die Tür geöffnet.
„Hier beim
Herrscher über Königsland. Was kann ich für sie tun?“, sagte
eine gelangweilte Jungenstimme. Ich drehte mich um. Er war nicht
älter als 25, hatte dunkelbraunes Haar und müde, graue Augen. Wer
war das denn? Doch nicht etwa irgendein Halbbruder von mir? Oh bitte
nicht. Meine Rechte als Sohn hatte ich zwar trotzdem, aber ich hatte
wirklich keine Lust, mich mit noch einem Großkotz rumzuschlagen.
Wobei es wirklich sehr selten war, dass die Kinder, insbesondere
eines Herrschers, bei dem Vater wohnten. Es war einfach nicht üblich.
„Ich würde gerne
zum Herrscher von Königsland. Ich bin sein Sohn“, sagte ich,
nachdem ich die Schultern gestrafft hatte.
Der Junge mir
gegenüber, der übrigens anscheinend bloß einen Bademantel trug,
sah mich minutenlang einfach nur an. Dann brach er in schallendes
Gelächter aus. Empört wollte ich schon etwas sagen, aber er kam mir
zuvor: „Also mein Sohn bist du ganz bestimmt nicht, Jungchen. Ich
bin der Herrscher über Königsland.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen