Donnerstag, 23. April 2015

52/52 Challenge: Möglichkeitenmeer

Soooo. Die nächste Kurzgeschichte. :D
Viel Spaß beim Lesen. :)

Wort: Fenster
Wörter: 576

Möglichkeitenmeer

Wenn ich nachts wachliege und aus dem Fenster schaue, stelle ich mir manchmal vor, dass ich in eine andere Welt gelangen würde, wenn ich das Fenster öffne und hindurch steige. Ich würde nicht fallen oder nicht mehr drinnen, sondern draußen sein. Nein, ich würde in einer Parallelwelt landen.
Diese andere Welt würde sich gar nicht so sehr von der, die wir kennen, unterscheiden. Sie wäre ihr vielleicht sogar sehr ähnlich. Auf den ersten Blick würde man vielleicht sogar gar keinen Unterschied erkennen.
Als ich jetzt aufstehe und ans Fenster trete, lege ich eine Hand auf die Fensterscheibe und schaue hoch in die Sterne. Dort draußen gibt es so vieles. Warum sollte es nicht auch noch andere Welten geben? Es fällt mir schwer, daran zu glauben, dass es nur diese eine Welt geben soll. Woher sollen wir das auch überhaupt wissen? So vieles ist noch unerforscht und unentdeckt. Alles ist möglich.
Ich lächele. Das ist es, was mir so sehr gefällt. Alles ist möglich. In der Theorie ist alles möglich. Es könnte andere Welten geben. Ich mag den Gedanken.
Wer weiß, vielleicht würde ich tatsächlich in einer Parallelwelt landen, wenn ich jetzt das Fenster öffne und nach draußen in die Nacht steige. Vielleicht würde ich auch einfach fallen.
Allein die Möglichkeit, dass dort draußen mehr sein könnte, als man mit dem bloßen Auge sieht, lässt meine Hand, die auf der Scheibe liegt, kribbeln.
Denn tatsächlich ist dort draußen auch sehr viel mehr, als das, was ich gerade sehe. Natürlich ist da mehr. Denn alles, was ich gerade sehe, ist Dunkelheit, Häuserfassaden, Straßenlaternen und leere Geh- und Fahrtwege. Aber dort hinter den dunklen Fenstern liegen Menschen und schlafen oder vielleicht liegen sie wach und starren an ihre Zimmerdecke oder schauen noch fern oder lesen. Die Möglichkeiten sind endlos.
Irgendwo auf der Welt ist jetzt auch Tag. Irgendwo klingelt ein Wecker und jemand wacht auf und geht zur Schule oder fährt zur Arbeit. Irgendwo lacht gerade jemand mit seinen Freunden. Und irgendwo küssen sich gerade zwei Verliebte. Es passieren gerade so viele Dinge gleichzeitig, das passt gar nicht in meinen Kopf hinein.
Jetzt kribbelt mein ganzer Körper, denn ich denke an all die Möglichkeiten, die ich selbst habe. Jeder hat sie, diese unheimlich vielen Möglichkeiten. Es ist beängstigend, aber auch gleichzeitig ermutigend.
Ich könnte mich jetzt anziehen, ein paar Sachen packen, rausgehen und in den nächsten Bus steigen und einfach fahren, irgendwohin, egal. Ich könnte auch ein ungelesenes Buch nehmen und die ganze Nacht lesen oder auch ein Buch, das ich schon einmal gelesen habe, neu entdecken. Oder ich könnte den Laptop anmachen und die ganze Nacht schreiben oder irgendetwas schauen. Ich könnte mich auch wieder ins Bett legen und morgen früh aufwachen und jemand ganz anderes sein, als ich es gestern war und damit meine Zukunft komplett umschreiben. Ich könnte mir neue Träume suchen und neue Ziele setzen und am nächsten Tag könnte ich sie wieder ändern oder nächste Woche oder in einem Jahr.
Es ist alles möglich. Man muss es nur tun. Man muss sich nur trauen.
Also ja, dort draußen hinter der Fensterscheibe befindet sich tatsächlich eine Parallelwelt, nicht nur eine, unendlich viele. Alles, was möglich ist und auch das, was es vielleicht auf den ersten Blick nicht zu sein scheint, ist dort draußen.
Eine ganze Weile kann ich meine Hand nicht von der Scheibe und meinen Blick nicht vom Sternenhimmel lösen, denn es ist, als würde die Welt dort draußen, nach mir rufen: Komm, lebe.

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