Wort: Seele
Wörter: 1316
Seelenfeuer
Sie
hielten die Drachen immer für eine Legende. Als Kind habe ich mir
immer die Geschichten angehört, die sie sich im Dorf erzählt haben.
Es waren unglaubliche Geschichten von Feuer und Heldenmut, Abenteuer
mit genau dem richtigen Grad an Nervenkitzel.
Damals
habe ich mir oft vorgestellt, Teil eines solchen Abenteuers zu sein.
Dabei wollte ich gar nicht unbedingt der Held sein. Ich hatte nicht
so hohe Ansprüche. Der beste Freund des Helds zu sein, wäre auch in
Ordnung für mich oder irgendein Fremder, den der Held und seine
Gefährten auf ihrer Reise trafen, solange ich bloß ein Teil des
Abenteuers wäre. Später hätte ich dann meinen Kindern davon
erzählt und sie hätten mich mit großen bewundernden Augen
angesehen, weil ich den Mann getroffen hatte, der einen Drachen
tötete.
Desto
älter ich wurde desto mehr realisierte ich, dass es blöde
Kinderfantasien waren, die ich mir zusammen spann, weil das Leben im
Dorf nicht sonderlich aufregend war. Allerdings blieb eines in all
den Jahren unverändert: der stille Glaube, dass die Drachen keine
Legende waren, sondern tatsächlich existierten.
Und
es kam der Tag, an dem ich in diesem Glauben bestätigt wurde.
Mitten
in der Nacht riss mich mein älterer Bruder aus dem Schlaf. Ich
dachte, es wäre etwas mit den Tieren. Doch nachdem ich mich schnell
umgezogen hatte und ihm aus dem Haus folgte, sah ich, dass es ein
paar Häuser weiter brannte. Es hatten sich bereits viele Nachbarn
versammelt, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen und zu löschen.
Gemeinsam schafften wir es, aber es blieb nicht bei diesem einen
Feuer. In den darauffolgenden Nächten brachen immer neue Feuer aus
und jedes Mal war die Ursache für den Brand unbekannt.
Gerüche
machten den Umlauf. Viele glaubten, es wären Brandstifter, aber es
gab keine Beweise. Bei dem fünften Brand schnappte ich ein paar
Worte auf, die ich auch zuvor schon gehört hatte. Jemand behauptete
anscheinend, dass er ein Brüllen und Flügelschläge gehört hätte,
bevor das Feuer ausbrach. Irgendjemand habe sogar davon gesprochen,
einen Drachen gesehen zu haben.
Ein
paar Nächte später saß ich vor dem Haus und betrachtete den
Sternenhimmel, da sah ich ihn. Seine Schuppen glänzten im Mondlicht
und er wirkte selbst aus der Entfernung riesig.
In
der Nacht brach in unserem Dorf kein Feuer aus, aber ich hörte
später davon, dass in unserem Nachbardorf ein Brand beinahe außer
Kontrolle geraten wäre und zwei Häuser niederbrannte.
Am
Tag nach meiner Sichtung des Drachen – und ich glaubte meinen Augen
–, sprach mich auf dem Markt ein alter Mann an.
„Ich
weiß, dass du ihn letzte Nacht gesehen hast“, sagte er. „Den
Drachen.“
„Wer
sind Sie?“
„Jemand,
der weiß, warum deine Eltern ermordet wurden.“
Hätte
er meine Eltern nicht erwähnt, hätte ich ihn als Schwätzer abgetan
und ihn ignoriert, aber so konnte ich es nicht. Es war erst fünf
Jahre her, seit meine Eltern getötet worden waren. Sie waren in die
Stadt gefahren und nie zurückgekehrt. Als mein Bruder und ich
Nachforschungen anstellten, sagte man uns, es wären Taschendiebe
gewesen. Ich wollte nie wahr haben, dass meine Eltern wegen etwas
solch Sinnlosem ihr Leben lassen mussten.
Also
hörte ich dem Mann zu und er erzählte mir von den Drachenkriegern,
die es vor mehreren Jahrhunderten gab und er sagte, ich wäre ein
Nachkomme eben jener Krieger. Zuerst glaubte ich ihm nicht. Wer würde
eine solche Geschichte auch glauben? Allerdings reagierte mein
älterer Bruder äußerst seltsam, als ich ihm von dem Mann und
seiner Behauptung berichtete. Er war nicht bloß verblüfft, er hatte
diese Geschichte schon einmal gehört – von unseren Eltern.
Er
wusste noch mehr über unsere Herkunft, über meine
Herkunft. Tatsächlich war er nämlich nicht mein Bruder. Vor langer
Zeit hatten meine Eltern mich gerettet und als ihren Sohn groß
gezogen. Meine wahre Herkunft hatten sie mir zu meiner eigenen
Sicherheit verschwiegen. Meinem Bruder hatten sie es in der Nacht,
bevor sie in die Stadt gefahren waren, erzählt.
„Und was bedeutet das jetzt?“, fragte ich und grub die Hände in
mein Haar, sah meinen großen Bruder hilflos an.
„Nichts hat sich geändert“, meinte er. „Sie waren deine Eltern
und ich bin dein Bruder.“
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Davon rede ich nicht. Was
bedeutet es in Bezug auf den Drachen? Ziehe ich ihn magisch an, oder
wie? Kann ich irgendetwas tun, dass er verschwindet?“
„Cendrik, es ist nicht deine Schuld“, beeilte er sich zu sagen
und blickte mich besorgt an.
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Wenn es einen Weg gibt, etwas gegen
diesen Drachen zu tun, sag es mir.“ Ernst schaute ich ihm ins
Gesicht. Ihm war bewusst, dass er es mir schuldig war, die Wahrheit
zu sagen. Nachdem ich praktisch eine Lüge gelebt hatte, auch wenn
ich weder ihm noch meinen Eltern einen Vorwurf machte, durfte er mir
die Wahrheit nicht vorenthalten.
Nach einem tiefen Seufzen teilte er mir alles mit, was er wusste.
Dass ich der letzte Drachenkrieger war und meine Kräfte sehr schwach
waren und dass es nur eine Möglichkeit gab, mich stärker zu machen.
„Du solltest das nicht tun, Cendrik. Du wirst danach nicht mehr du
selbst sein. Mutter und Vater hätten das nicht gewollt.“
„Es ist meine Entscheidung!“ Eindringlich sah ich ihn an und er
wandte den Blick ab. Er konnte es nicht verstehen. Er konnte nicht
verstehen, dass es meine Schuld war, dass Mutter und Vater getötet
worden waren, weil sie meinen Aufenthaltsort nicht hatten verraten
wollen. Es war meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihr Tod nicht
umsonst war. Und es war meine Verantwortung, die Menschen unseres und
der anderen Dörfer vor dem Drachen zu retten.
„Du willst also deine Seele verkaufen, hm?“ Ein grausiges Grinsen
lag auf seinem Gesicht.
„Nicht verkaufen. Eintauschen. Ich möchte meine Seele
eintauschen“, erklärte ich mit schmerzender Brust und leichter
Atemnot. Die Luft um mich herum war heiß, sie schien zu brennen und
dieses Brennen fraß sich in meine Haut und meinen Hals und mein
Herz.
„Das macht doch keinen Unterschied. Verkaufen, Eintauschen,
Stehlen. Ist doch alles dasselbe.“ Das grausige Grinsen schien ihm
ins Gesicht gemeißelt. Es war nicht das einzige Grausige an ihm.
Seine gesamte Erscheinung war grausig und ihn als eine Erscheinung zu
bezeichnen war leicht übertrieben. Eher bestand er aus Rauch und
Asche, ein formloses Wesen, das neben seinem Gesicht keine feste
Gestalt aufwies. Dort, wo sich seine Augen befunden hätten,
züngelten kleine Flammen und, wo sein Mund gewesen wäre, befand
sich ein schwarzes Loch, das sich hin und wieder kräuselte und
ausweitete.
„Ich tausche meine Seele gegen die Rettung vieler Menschen“,
beharrte ich.
„Ohne Seele werden dir diese Menschen nichts mehr bedeuten. Aber
gut, wenn es dein Wunsch ist. Seelen sind meine Leibspeise, musst du
wissen.“ Sein grausiges Grinsen wurde noch ein klein wenig breiter,
sodass es noch unmenschlicher wirkte und fast hoch bis zu seinen
flammenden Augen reichte. „Mhhh und deine Seele, Cendrik, riecht
ganz besonders gut.“
„Tun Sie es einfach!“ Dieser Ort ließ mich die Geduld verlieren.
Nicht zuletzt, weil ich das Gefühl hatte, von außen und von innen
zu verbrennen, wenn ich noch länger hierblieb.
„Nun gut, nun gut. Aber jammere später nicht. Ich habe dich
gewarnt. Na, es war ohnehin zu spät, nachdem du dir den Silberdolch
ins Herz gerammt hast.“ Instinktiv fasste ich mir an die Brust, wo
mein Herz schlagen müsste. Ich konnte es fühlen, als würde es noch
schlagen. Doch es schlug nicht.
Der Dämon kam näher, leckte sich mit seiner schwarzen Zunge die
nicht vorhandenen Lippen. Ich wollte die Augen schließen, aber da
war es bereits zu spät und ich hörte ein grässliches Reißen
gefolgt von einem noch grässlicheren Gefühl, das mich gellend
aufschreien ließ. Es kam mir vor, als würde ich auseinander
gerissen werden und jedes einzelne Stück verbrannte, bis es nicht
einmal mehr Asche war.
Und dann war es plötzlich vorbei und ich riss die Augen auf und
wusste nur noch eins: ich muss den Drachen töten.
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