Montag, 29. September 2014

Challenge 52/52: Nach nirgendwo

Ist jetzt schon eine ganze Weile her, dass ich was zu der Challenge hochgeladen habe... Das heißt nicht, dass ich sie abbreche oder so! Ganz und gar nicht. Dafür habe ich schon viel zu viele Ideen ;D
Also hier ist dann Nummer 7.

Wort: Zukunft
Wörter: 565


Nach nirgendwo

Ich blickte auf die Gleise. Wind zerzauste mir die Haare. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das Ein- und Ausatmen. Dabei fühlte ich den Wind. Fühlte wie er über meine nackte Haut an Hals, Armen und Beinen strich. Fühlte wie er unter mein lockeres, lila T-Shirt fuhr, das mir auf der einen Seite über die Schulter gerutscht war. Fühlte wie meine Haare mich im Nacken kitzelten.
Und noch so viel mehr. Ich fühlte noch so viel mehr.
Ich fühlte das Leben, wie es auf mich wartete. Mit ausgebreiteten Armen wartete es auf mich. In diesem Augenblick war ich dabei, ihm entgegen zu rennen und mich ihm stürmisch um den Hals zu werfen.
Als ich die Augen wieder aufschlug, stand ich noch immer auf dem Bahnsteig, mein großer, schwarzer Koffer neben mir, ein Kissen in der Hand und auf der Schulter eine zu groß geratene Handtasche, die eher als kleine Reisetasche durchging.
Vor mir, auf der anderen Seite der Gleise, erstreckte sich ein kleines Wäldchen und daneben befand sich eine große Wiese. In meinem Rücken lag die Stadt, in der ich aufgewachsen war. In mir tobte der Wunsch loszurennen und nie wieder stehen zu bleiben. Das hatte in diesem Fall nichts mit Flucht zu tun. Ich wollte soweit rennen, wie ich konnte und sehen, wo ich landete, sehen, was ich auf dem Weg erlebten konnte. Ich wollte das Leben spüren, es schmecken, riechen, anfassen, sehen, fühlen.
Ich wandte meinen Kopf, um auf die Bahnhofsuhr zu blicken. Zehn Minuten. Zehn Minuten noch.
Eine Welle der Angst überkam mich und mir traten fast die Tränen in die Augen. Alles, was vor mir lag, war mir unbekannt, fremd. Alles, was vor mir lag, würde ich alleine bewältigen müssen. Von jetzt an war ich vollkommen auf mich selbst gestellt. Von jetzt an trug ich komplett die Verantwortung für mich.
Ich presste meine Lippen aufeinander und schloss wieder die Augen. Hinter meinen geschlossenen Lidern tauchte wie aus dem Nichts meine Familie auf und meine Freunde. Erinnerungen wirbelten in meinem Kopf durcheinander. Ein leichtes Stechen machte sich bemerkbar, sowohl in meinem Kopf als auch in meiner Brust und auch in meinem Magen. Mir wurde fast schlecht.
So vieles lag hinter mir. So vieles ließ ich hier zurück. Die Menschen, die mir wichtig waren, würde ich eine Weile nicht sehen. Diese Menschen, die ich sonst jeden Tag gewesen hatte. Diese Menschen, an die ich so sehr gewöhnt war.
Schwer schluckte ich und öffnete die Augen besser schnell wieder. Mein Kissen fasste ich fester und legte den Kopf in den Nacken, schaute hoch in den weiten, weiten Himmel.
Vögel flogen über mich hinweg und dieses Gefühl von Freiheit kehrte zurück. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus.
Es war okay. Es war okay. Es war an der Zeit, loszulassen. Es war an der Zeit loszulassen, die Flügel auszubreiten und loszufliegen. Wo auch immer meine Flügel mich hintragen würden. Ich würde auf das Urteilsvermögen meines Gefühls vertrauen. Ich würde auf mich selbst vertrauen und selbst wenn ich Fehler machen sollte, selbst wenn das Alles ein riesiger Fehler sein sollte, würde ich wieder aufstehen und weitermachen, von vorne anfangen, alles anders machen und es dann wieder anders machen, wieder und wieder, bis es richtig war, bis es sich richtig anfühlte.
Polternd fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Mit meinen Sachen, meinem ganzem Leben stieg ich ein und fuhr Richtung nirgendwo, Richtung Zukunft.

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