Dienstag, 5. März 2019

2.3.19

Der richtige Weg

Den gibt es nicht – den einen richtigen Weg. Es hat ihn nie gegeben und es wird ihn nie geben. Ganz egal, wie verzweifelt ich und andere, die Gesellschaft, wer auch immer danach suchen mag. Es gibt ihn schlicht nicht.
Und das ist gut so.
Wie verzweifelt allein schon die Suche nach diesem einen richtigen Weg macht, zeigt bereits, dass ein solcher Weg niemals existiert hat und niemals existieren wird. Ja, vielleicht kann eins nah genug an diesen einen richtigen Weg herankommen. Das könnte eine Alternative dazu sein, die wirkliche Perfektion dieses einen richtigen Weges erreichen zu wollen. Doch auch diese Alternative hat all das Falsche, was die Vorstellung dieses einen richtigen Weges mit sich bringt.

Wenn es einen absolut richtigen Weg gäbe, würde das alle anderen Wege zu falschen Wegen machen. Dieser eine richtige Weg würde auf ein Podest gehoben werden und die alleinige Macht besitzen. Dieser eine richtige Weg würde jeden so sehr unter Druck setzen, diesem Weg zu folgen oder eben so nah ran zu kommen, wie nur irgendmöglich – ob das Ziel nun der tatsächliche eine richtige Weg ist oder etwas, das dem am nächsten kommt, macht da also keinerlei Unterschied.
Die Probleme des Ausschließens, des Abwertens, des Verabsolutierens sind ganz genau die Gleichen. Mal ganz abgesehen von der Definitionsproblematik.

Was ist denn „richtig“? Kann etwas nur richtig sein, wenn etwas anderes falsch ist? Wie zwei Seiten ein und derselben Münze? Also ist es schwarzweiß. Und es gibt Graustufen. Viele viele Graustufen, weil manches mehr richtig oder eben mehr falsch ist als anderes.
Schön und gut, rein vom Konzept her macht es schon Sinn. Es beantwortet aber nicht die Frage nach der Definition. Und nehmen die Graustufen der Absolutheit nicht ihre Allmacht? Wenn es Dinge gibt, die weniger oder mehr richtig und weniger oder mehr falsch sind als andere, dann ist „richtig“ nichts Absolutes mehr und „falsch“ nicht mehr das, was allem „Richtigen“ gegenübersteht.
Die Grenzen verwischen und vermischen sich. Dinge können teilweise richtig und teilweise falsch sein. Das Ding selbst kann richtig sein, aber die Motivation falsch oder andersherum. Aus Sicht der einen Person kann etwas richtig und aus der Sicht einer anderen Person gleichzeitig falsch sein.

Richtig ist also nichts Absolutes. Es ist eine Definitions-, Blickwinkel- und Situationssache. Etwas, das einer Person vollkommen richtig erscheint, kann für eine andere Person vollkommen falsch sein. Ein allgemeingültiges Richtig gibt es nicht.
Also... was bleibt? Kann „richtig“ trotzdem etwas sein, an dem eins sich orientieren kann? Nur welches „Richtig“? Wenn richtig immer etwas anderes ist, wo ist da die Orientierung? Wo sind da die Richtlinien? Wo ist da das angestrebte Ideal? Wie geht „richtig“?

Letztendlich muss das wohl jede Person für sich selbst herausfinden. Jede Person hat eine eigene Vorstellung von „richtig“ und dementsprechend ein eigenes „Richtig“. Vielleicht ist es für diese Person ein absolutes Richtig. Vielleicht ist diese Person auch offen, ihr Richtig zu ändern, zu hinterfragen, in einem neuen Licht zu betrachten. Vielleicht kann diese Person auch beides gleichzeitig, quasi ihr Richtig verbiegen, ohne es jedoch zu brechen oder neu zu formen.
„Richtig“ muss nichts Festes sein. „Richtig“ muss gar nichts und gar nichts muss „richtig“ sein.

*

Ich weiß all das. Theoretisch weiß ich all das. Und ich denke, ich bin auch okay darin, das Ganze umzusetzen. Gedanklich kann ich es gar nicht mehr anders sehen. Natürlich ist für jede Person etwas anderes Richtig. Jede Person und jedes Leben ist anders, natürlich. Wie sollte es auch sonst sein!?
Und trotzdem... trotzdem ist dieses Denken an die Richtigkeit, den richtigen Weg noch da. Es geht trotzdem nicht weg. Als wäre es irgendwie trotz meines eigentlich komplett anderen Mindsets in mich eingebrannt. Als wäre es eine Narbe auf meiner Haut, die noch immer erkennbar ist und mich daran hindert, dieses Denken vollkommen zu vergessen und abzulegen. Als... wäre ich trotz allem Teil von diesem Denken.

Genau das ist das Problem. Ich bin Teil von diesem Denken, ob ich will oder nicht, wie sehr ich mich auch dagegen wehre und mich davon loslöse. Ich werde immer Teil davon sein und alle werden immer irgendwie versuchen, ihr Richtig zu finden und sich mit anderen vergleichen und eine Absolutheit, eine Regelhaftigkeit, eine Norm, ein Muster zu finden, um sagen zu können: „Sieht du, das hier ist der richtige Weg!“
Das Bedürfnis danach und die dadurch erschaffene Illusion sind oftmals so viel stärker als die Wirklichkeit.

Selbst der eigene richtige Weg ist ja nicht mehr als eine aus dem Bedürfnis danach erwachsene Illusion. Klar kann sich etwas richtig anfühlen und einem richtig vorkommen und sogar richtig für einen selbst sein. Klar kann eins daraus lernen und versuchen, danach zu leben und dieses Richtig weiter ausbauen, immer mehr und mehr herausfinden, was dieses Richtig ausmacht und warum es für einen das richtige Richtig ist. Klar ist das daraus Entstehende der richtige Weg für diese Person.
Ein richtiger Weg, der nur deshalb existiert, weil die Person versucht herauszufinden, was für sie Richtig ist, während „richtig“ ein solch individuelles, vorstellungs- und gefühlsbasierendes Konzept ist.

Es gibt Richtig nicht und den richtigen Weg gibt es erst recht nicht.
Deshalb ist es ja so kompliziert, für sich selbst herauszufinden, was denn nun für einen selbst richtig ist. Es gibt schließlich auch keinen richtigen Weg zum eigenen richtigen Richtig. Und da Richtig nichts Festes sein muss, kann es sich ja auch jederzeit ändern. Was gestern oder auch nur vor ein paar Minuten richtig erschien, kann schon gleich darauf ganz anders wahrgenommen werden.

Also... kann ich tatsächlich nur mein Bestes versuchen. Wie immer. Wie wir alle. Wir können alle nur unser ganz persönliches Bestes versuchen – sei es ein gesellschaftliches oder ein selbst auferlegtes Ideal oder eines, das sich ständig wandelt. Sei es mal mehr und mal weniger absolut für einen selbst. Sei es mal eindeutiger und mal weniger eindeutig. Sei es mal leichter umzusetzen und mal schwerer.
Sei es, was auch immer es sein mag.

Ich glaube, ich kann zumindest eines sagen: Ich weiß nicht, was es für mich ist, was mein Richtig und mein richtiger Weg ist. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass es das für mich eventuell gar nicht gibt. Es gibt meine Vorstellung davon, doch wie es in der Realität tatsächlich wäre...
Da scheint so ein großer Graben zwischen dem zu sein, was ich mir wünsche und erhoffe und dem, was die Wirklichkeit mir bieten kann und zurückgibt, dass ich irgendwie gar nicht wissen kann, wie etwas in der Realität wäre, bis es eben passiert. Das wiederum klingt sehr logisch und offensichtlich.

Kopftechnisch ist es aber irgendwie sehr schwierig, das Beides miteinander zu vereinen. Ich darf die Vorstellung, den Wunsch, das Erhoffte nicht zu stark werden lassen und gleichzeitig darf ich auch der Realität nicht zu viel Macht geben, mich nicht zu sehr von ihr einschüchtern lassen.
Letztendlich ist und bleibt es ja eine Möglichkeit, dass meine Vorstellungen Realität werden, meine Wünsche tatsächlich erfüllt und meine Hoffnungen wahr werden.

Sollte ich deshalb alles auf diese Möglichkeit setzen? Nein. Das auch nicht. Ich sollte sie aber auch nicht vergessen. Sie existiert und manchmal wird sie real. Meistens nicht, aber manchmal.
Ich wünschte, die Hoffnung auf diese Möglichkeit wäre für mich genug. Ich wünschte, ich wäre selbstbewusster, was mein formloses, sich ständig änderndes und doch sehr entschiedenes Richtig betrifft. Ich wünschte, es wäre leichter, meinen richtigen Weg zu finden und ihn auch zu gehen und nicht ständig zu fürchten, dass er doch irgendwie falsch ist, obwohl mein Richtig ja nur aus meiner eigenen Vorstellung geboren ist.

Schön, wie ich mich mal wieder im Kreis drehe, nicht? Schlauer fühle ich mich jetzt auf jeden Fall nicht, was aber auch nicht so wirklich mein Ziel war. Manchmal muss ich Dinge einfach ein bisschen durchkauen, um... keine Ahung, um zu sehen, wie sehr ich mich im Kreis drehe vielleicht.
Es tut gut, Dinge einfach mal in Worte zu fassen. Es tut gut, zu versuchen, herauszufinden, was eigentlich genau das Problem ist.
Meines ist: Wie soll ich etwas richtig machen, wenn mein Richtig genauso stimmungsschwankend bei manchen Themen ist wie ich selber?
Antwort: Tja. Vielleicht muss ich mich einfach davon verabschieden, es richtig machen zu können. Vielleicht geht es mehr darum, es einfach zu machen und weniger darum, es richtig zu machen. Immerhin lernt eins aus Fehlern, nicht? Ich will lernen, auch wenn ich Angst habe, weil ich Angst habe.

Genau daraus ist das Ganze ja überhaupt erst geboren: Ich will mich nicht von meiner Angst beherrschen lassen.
Ich kann Dinge noch so sehr „falsch“ machen in den Augen anderer, wenn sie für mich richtig sind, sich richtig anfühlen, in dem Moment Teil meines richtigen Weges sind, warum sollte ich dann mehr auf das „Falsch“ anderer hören als auf mein eigenes „Richtig“?
Denn letztendlich, egal was genau mein Richtig eigentlich ist, ist es immerhin meins.

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