Der richtige Weg
Den gibt es nicht – den einen
richtigen Weg. Es hat ihn nie gegeben und es wird ihn nie geben. Ganz
egal, wie verzweifelt ich und andere, die Gesellschaft, wer auch
immer danach suchen mag. Es gibt ihn schlicht nicht.
Und das ist gut so.
Wie verzweifelt allein schon die
Suche nach diesem einen richtigen Weg macht, zeigt bereits, dass ein
solcher Weg niemals existiert hat und niemals existieren wird. Ja,
vielleicht kann eins nah genug an diesen einen richtigen Weg
herankommen. Das könnte eine Alternative dazu sein, die wirkliche
Perfektion dieses einen richtigen Weges erreichen zu wollen. Doch
auch diese Alternative hat all das Falsche, was die Vorstellung
dieses einen richtigen Weges mit sich bringt.
Wenn es einen absolut richtigen
Weg gäbe, würde das alle anderen Wege zu falschen Wegen machen.
Dieser eine richtige Weg würde auf ein Podest gehoben werden und die
alleinige Macht besitzen. Dieser eine richtige Weg würde jeden so
sehr unter Druck setzen, diesem Weg zu folgen oder eben so nah ran zu
kommen, wie nur irgendmöglich – ob das Ziel nun der tatsächliche
eine richtige Weg ist oder etwas, das dem am nächsten kommt, macht
da also keinerlei Unterschied.
Die Probleme des Ausschließens,
des Abwertens, des Verabsolutierens sind ganz genau die Gleichen. Mal
ganz abgesehen von der Definitionsproblematik.
Was ist denn „richtig“? Kann
etwas nur richtig sein, wenn etwas anderes falsch ist? Wie zwei
Seiten ein und derselben Münze? Also ist es schwarzweiß. Und es
gibt Graustufen. Viele viele Graustufen, weil manches mehr richtig
oder eben mehr falsch ist als anderes.
Schön und gut, rein vom Konzept
her macht es schon Sinn. Es beantwortet aber nicht die Frage nach der
Definition. Und nehmen die Graustufen der Absolutheit nicht ihre
Allmacht? Wenn es Dinge gibt, die weniger oder mehr richtig und
weniger oder mehr falsch sind als andere, dann ist „richtig“
nichts Absolutes mehr und „falsch“ nicht mehr das, was allem
„Richtigen“ gegenübersteht.
Die Grenzen verwischen und
vermischen sich. Dinge können teilweise richtig und teilweise falsch
sein. Das Ding selbst kann richtig sein, aber die Motivation falsch
oder andersherum. Aus Sicht der einen Person kann etwas richtig und
aus der Sicht einer anderen Person gleichzeitig falsch sein.
Richtig ist also nichts Absolutes.
Es ist eine Definitions-, Blickwinkel- und Situationssache. Etwas,
das einer Person vollkommen richtig erscheint, kann für eine andere
Person vollkommen falsch sein. Ein allgemeingültiges Richtig gibt es
nicht.
Also... was bleibt? Kann „richtig“
trotzdem etwas sein, an dem eins sich orientieren kann? Nur welches
„Richtig“? Wenn richtig immer etwas anderes ist, wo ist da die
Orientierung? Wo sind da die Richtlinien? Wo ist da das angestrebte
Ideal? Wie geht „richtig“?
Letztendlich muss das wohl jede
Person für sich selbst herausfinden. Jede Person hat eine eigene
Vorstellung von „richtig“ und dementsprechend ein eigenes
„Richtig“. Vielleicht ist es für diese Person ein absolutes
Richtig. Vielleicht ist diese Person auch offen, ihr Richtig zu
ändern, zu hinterfragen, in einem neuen Licht zu betrachten.
Vielleicht kann diese Person auch beides gleichzeitig, quasi ihr
Richtig verbiegen, ohne es jedoch zu brechen oder neu zu formen.
„Richtig“ muss nichts Festes
sein. „Richtig“ muss gar nichts und gar nichts muss „richtig“
sein.
*
Ich weiß all das. Theoretisch
weiß ich all das. Und ich denke, ich bin auch okay darin, das Ganze
umzusetzen. Gedanklich kann ich es gar nicht mehr anders sehen.
Natürlich ist für jede Person etwas anderes Richtig. Jede Person
und jedes Leben ist anders, natürlich. Wie sollte es auch sonst
sein!?
Und trotzdem... trotzdem ist
dieses Denken an die Richtigkeit, den richtigen Weg noch da. Es geht
trotzdem nicht weg. Als wäre es irgendwie trotz meines eigentlich
komplett anderen Mindsets in mich eingebrannt. Als wäre es eine
Narbe auf meiner Haut, die noch immer erkennbar ist und mich daran
hindert, dieses Denken vollkommen zu vergessen und abzulegen. Als...
wäre ich trotz allem Teil von diesem Denken.
Genau das ist das Problem. Ich bin
Teil von diesem Denken, ob ich will oder nicht, wie sehr ich mich
auch dagegen wehre und mich davon loslöse. Ich werde immer Teil
davon sein und alle werden immer irgendwie versuchen, ihr Richtig zu
finden und sich mit anderen vergleichen und eine Absolutheit, eine
Regelhaftigkeit, eine Norm, ein Muster zu finden, um sagen zu können:
„Sieht du, das hier ist der richtige Weg!“
Das Bedürfnis danach und die
dadurch erschaffene Illusion sind oftmals so viel stärker als die
Wirklichkeit.
Selbst der eigene richtige Weg ist
ja nicht mehr als eine aus dem Bedürfnis danach erwachsene Illusion.
Klar kann sich etwas richtig anfühlen und einem richtig vorkommen
und sogar richtig für einen selbst sein. Klar kann eins daraus
lernen und versuchen, danach zu leben und dieses Richtig weiter
ausbauen, immer mehr und mehr herausfinden, was dieses Richtig
ausmacht und warum es für einen das richtige Richtig ist. Klar ist
das daraus Entstehende der richtige Weg für diese Person.
Ein richtiger Weg, der nur deshalb
existiert, weil die Person versucht herauszufinden, was für sie
Richtig ist, während „richtig“ ein solch individuelles,
vorstellungs- und gefühlsbasierendes Konzept ist.
Es gibt Richtig nicht und den
richtigen Weg gibt es erst recht nicht.
Deshalb ist es ja so kompliziert,
für sich selbst herauszufinden, was denn nun für einen selbst
richtig ist. Es gibt schließlich auch keinen richtigen Weg zum
eigenen richtigen Richtig. Und da Richtig nichts Festes sein muss,
kann es sich ja auch jederzeit ändern. Was gestern oder auch nur vor
ein paar Minuten richtig erschien, kann schon gleich darauf ganz
anders wahrgenommen werden.
Also... kann ich tatsächlich nur
mein Bestes versuchen. Wie immer. Wie wir alle. Wir können alle nur
unser ganz persönliches Bestes versuchen – sei es ein
gesellschaftliches oder ein selbst auferlegtes Ideal oder eines, das
sich ständig wandelt. Sei es mal mehr und mal weniger absolut für
einen selbst. Sei es mal eindeutiger und mal weniger eindeutig. Sei
es mal leichter umzusetzen und mal schwerer.
Sei es, was auch immer es sein
mag.
Ich glaube, ich kann zumindest
eines sagen: Ich weiß nicht, was es für mich ist, was mein Richtig
und mein richtiger Weg ist. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen,
dass es das für mich eventuell gar nicht gibt. Es gibt meine
Vorstellung davon, doch wie es in der Realität tatsächlich wäre...
Da scheint so ein großer Graben
zwischen dem zu sein, was ich mir wünsche und erhoffe und dem, was
die Wirklichkeit mir bieten kann und zurückgibt, dass ich irgendwie
gar nicht wissen kann, wie etwas in der Realität wäre, bis es eben
passiert. Das wiederum klingt sehr logisch und offensichtlich.
Kopftechnisch ist es aber
irgendwie sehr schwierig, das Beides miteinander zu vereinen. Ich
darf die Vorstellung, den Wunsch, das Erhoffte nicht zu stark werden
lassen und gleichzeitig darf ich auch der Realität nicht zu viel
Macht geben, mich nicht zu sehr von ihr einschüchtern lassen.
Letztendlich ist und bleibt es ja
eine Möglichkeit, dass meine Vorstellungen Realität werden, meine
Wünsche tatsächlich erfüllt und meine Hoffnungen wahr werden.
Sollte ich deshalb alles auf diese
Möglichkeit setzen? Nein. Das auch nicht. Ich sollte sie aber auch
nicht vergessen. Sie existiert und manchmal wird sie real. Meistens
nicht, aber manchmal.
Ich wünschte, die Hoffnung auf
diese Möglichkeit wäre für mich genug. Ich wünschte, ich wäre
selbstbewusster, was mein formloses, sich ständig änderndes und
doch sehr entschiedenes Richtig betrifft. Ich wünschte, es wäre
leichter, meinen richtigen Weg zu finden und ihn auch zu gehen und
nicht ständig zu fürchten, dass er doch irgendwie falsch ist,
obwohl mein Richtig ja nur aus meiner eigenen Vorstellung geboren
ist.
Schön, wie ich mich mal wieder im
Kreis drehe, nicht? Schlauer fühle ich mich jetzt auf jeden Fall
nicht, was aber auch nicht so wirklich mein Ziel war. Manchmal muss
ich Dinge einfach ein bisschen durchkauen, um... keine Ahung, um zu
sehen, wie sehr ich mich im Kreis drehe vielleicht.
Es tut gut, Dinge einfach mal in
Worte zu fassen. Es tut gut, zu versuchen, herauszufinden, was
eigentlich genau das Problem ist.
Meines ist: Wie soll ich etwas
richtig machen, wenn mein Richtig genauso stimmungsschwankend bei
manchen Themen ist wie ich selber?
Antwort:
Tja. Vielleicht muss ich mich einfach davon verabschieden, es richtig
machen zu können. Vielleicht geht es mehr darum, es einfach zu
machen und weniger darum, es richtig zu machen. Immerhin lernt eins
aus Fehlern, nicht? Ich will lernen, auch wenn ich Angst habe, weil
ich Angst habe.
Genau daraus ist das Ganze ja
überhaupt erst geboren: Ich will mich nicht von meiner Angst
beherrschen lassen.
Ich kann Dinge noch so sehr
„falsch“ machen in den Augen anderer, wenn sie für mich richtig
sind, sich richtig anfühlen, in dem Moment Teil meines richtigen
Weges sind, warum sollte ich dann mehr auf das „Falsch“ anderer
hören als auf mein eigenes „Richtig“?
Denn letztendlich, egal was genau
mein Richtig eigentlich ist, ist es immerhin meins.
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