Dear Sweet Heart
Zuerst
war ich genervt von der ganzen Lernerei und wütend auf mich selbst,
weil es nicht so klappen wollte und ich früher hätte anfangen
sollen und all sowas. Danach habe ich mich selbst fertig gemacht und
konnte kaum aufhören zu weinen, weil ich so traurig und auch
verzweifelt war, dass ich es nicht hinbekomme.
Jetzt
bin ich wieder wütend. Wütend auf dieses ganze System, auf diese
ganze Leistungsgesellschaft, diesen ständigen Druck, dieses
Funktionieren, diese Pflicht irgendetwas sein zu müssen.
Was
soll denn der ganze Mist überhaupt!?
Es
gäbe so viele bessere Möglichkeiten, wie man leben könnte, so
viele bessere! Zumindest ist das in meinem Kopf so und es kommt mir
auch so vor, als müsste es eigentlich so sein. Es muss andere
Möglichkeiten geben. Ansonsten gehöre ich wirklich nicht auf diese
Welt und viele andere mit mir.
Ich
glaube sogar, dass niemand eigentlich für so etwas geschaffen ist,
zumindest nicht wir Menschen. Irgendwann haben wir angefangen, uns
das einzureden und manche können damit besser umgehen als andere,
aber vollkommen glücklich ist damit niemand. Das kann ich mir
einfach nicht vorstellen.
Das
Leben ist doch mehr, als nur irgendwelchen Aufgaben nachzugehen und
zu funktionieren! 1. ist es nicht so einfach und 2. sind wir verdammt
nochmal keine Maschinen! Wir haben ein Herz, Gefühle, einen Verstand
voller Ideen, Augen, um schönes zu sehen und Ohren um schönes zu hören, den Tastsinn um schönes zu fühlen. Wofür bräuchten wir all
das, wenn wir bloß funktionieren sollten?
Wir
vergessen es. Wir vergessen es so oft – dass wir nicht dazu gemacht
sind, um einfach nur zu funktionieren. Die Gesellschaft sagt uns das,
vermittelt uns dieses Bild. Sie vergisst aber eins dabei – den
Zweck, den Nutzen. Wofür das Alles? Wofür sollen wir funktionieren?
Einfach nur um zu überleben? Überleben, überleben ist nicht das
Gleiche wie Leben.
Wofür
haben wir denn eine halbwegs stabile Gesellschaft, wenn wir nicht
einmal in ihr leben können? Was bedeuten schon Sicherheit und
Freiheit, wenn wir vergessen haben, wie man lebt?
Immer
heißt es nur „tue dies“, „sorge dafür“, „mach das noch“,
„bezahle hierfür was“, „bezahle dafür was“, „geh zur
Schule“, „schreib gute Noten“, „lerne viel“, „such dir
einen ordentlichen Beruf“, „sieh zu, dass du Geld verdienst“!
Manche
Verpflichtungen können auch schön sein. Manche Dinge zu lernen kann
auch sehr viel Spaß machen. Manche Jobs können einem sehr viel Spaß
machen.
Aber
eben nicht allen. Wir sind alle verschieden. Das wird ja sowieso in
diesem ganzen System immer und immer wieder vergessen.
Ich
bin bisher recht gut zurechtgekommen. In der Schule hatte ich nie
groß Probleme. Ich hatte nie Schwierigkeiten, Dinge zu lernen, hatte
immer gute Noten und musste nicht einmal viel dafür tun. Ich war
jetzt nicht die super Streberin und es ging mir auch nie darum super
gute Noten zu haben, aber ich war zufrieden und oft auch sehr
überrascht über meine guten Leistungen.
Trotzdem
war ich natürlich froh, als ich dann aus der Schule raus war.
Endlich keinen unnötigen Kram mehr lernen und endlich Dinge tun
können, die ich wirklich tun wollte! Was ich natürlich dann auch
erstmal nicht gemacht habe, aber gut. :'D
Jetzt
studiere ich seit einem halben Jahr und es ist toll. Ich mag meine
Studiengänge sehr und ich denke, ich werde sie auch beibehalten,
eben weil ich sie mag und sie mich wirklich interessieren und
inspirieren und mir Spaß machen. Das ist ja auch der Grund, warum
ich überhaupt angefangen habe, diese Sachen zu studieren – weil
sie mich interessieren und ich damit auch beruflich etwas tun möchte.
Daran
wird sich wahrscheinlich auch nichts ändern, weil
Literaturwissenschaften und Japanologie beides Dinge sind, die mich
einfach sehr faszinieren und mich sehr geprägt haben.
Darum
geht es auch gar nicht.
Und
es geht auch nicht direkt darum, dass Uni was ganz anderes ist, als
Schule. Oder vielleicht eher die Schule, an der ich war.
Das
Niveau an einer Uni ist anders. Das Niveau in meinen Studiengängen
ist anders. Anders als was? Anders als ich es erwartet habe?
Anders als ich es mir wünschen würde?
Wahrscheinlich
das – anders als ich es mir wünschen würde. Oder nein, eigentlich
ist es ganz gut so. Was mich stört, ist das System, die Art zu
studieren. Nicht das Studieren an sich, sondern wie es aufgebaut ist,
wie es einem den Spaß an der Sache kaputt machen kann.
Ich
weiß, dass ich nicht doof bin und wenn ich etwas lernen will, dann
kann ich das und ich bin überzeugt, dass das bei Jedem so ist. Die
Gesellschaft, die Schule oder auch Personen oder andere Dinge
pflanzen uns da gerne andere Dinge ein.
Aber
verdammt nochmal, darauf sollten wir auf keinen Fall hören. Jeder
hat seine Stärken, jeder. Nur die können eben verdammt nochmal
nicht an Noten gemessen werden und schon gar nicht an Noten in der
Art, wie sie in der Schule ermittelt werden!
Für
die Uni gilt in gewisser Weise das Selbe bzw. sollte dort eigentlich
die Moral noch einmal eine ganz andere sein.
In
der Schule muss man gezwungenermaßen gewisse Dinge lernen, weil sie
eben wichtig sind. Dagegen sage ich überhaupt nichts. Es gibt schon
einen Grund, warum es die Schule gibt und das ist auch gut so.
Aber
an einer Uni ist man, weil man dort sein will und nicht, weil man
muss.
Das
ist es auch, was einem die Professoren immer wieder sagen und woran
man sich selbst auch immer wieder erinnern sollte – ich bin hier,
weil ich hier sein will, weil es mich meinem Ziel näherbringt, weil
es mich interessiert.
Klar
kann das immer mal ein bisschen schwanken und so, aber der
Grundgedanke sollte die ganze Zeit über vorhanden sein, sonst macht
die ganze Sache nicht so viel Sinn.
Soweit,
so gut. Man ist aus freien Stücken dort und natürlich muss man sich
bis zu einem gewissen Grad einem System unterwerfen. Einiges ist
schon deutlich freier gestaltet als in der Schule. Man kann sich ja
den Studiengang aussuchen, stellt sich den Stundenplan selbst
zusammen, entscheidet selbst, was man wann machen will. Mit gewissen
Einschränkungen, aber das ist ja auch okay.
Was
ich nicht okay finde, ist, was teilweise von einem verlangt wird. Man
soll so vieles kennen und wissen und sich merken und lernen und
O___________O
Da
sagen sie, sie sind anders, als die Schule und tue dann genau den
gleichen Mist.
Ich
bin nicht an der Uni, um unter Druck gesetzt zu werden! Ich bin nicht
an der Uni, damit Erwartungen an mich gestellt werden! Ich bin nicht
an der Uni, um zu irgendetwas gezwungen zu werden oder mich zu
irgendetwas gezwungen zu fühlen!
Ich
bin da, weil ich da sein möchte.
Bis
zu einem gewissen Grad lassen sich all diese Dinge natürlich nicht
vermeiden und Druck ist grundsätzlich ja auch gar nichts schlechtes,
mir hilft er oft sogar sehr, aber argh!
Jeder
hat sein eigenes Tempo, seine eigene Welt, sein eigenes Leben. Das
gilt an einer Uni in gewissem Maße nochmal mehr als an einer Schule.
In
der Schule sollte es darum gehen, dass alle sich ein gewisses
Grundwissen aneignen und an der Uni kann man sein Wissen um das
erweitern und vertiefen, was man gerne noch wissen möchte. Möchte,
nicht muss.
Da
kann, da darf die Uni keine Erwartungen an mich stellen, außer einer
– dass ich da sein möchte, weil die Dinge mich interessieren.
Natürlich
folgt darauf, dass ich die Dinge auch lernen muss und all sowas, aber
bitte so wie ich das möchte, in meinem Tempo, weil ich es anders
sowieso nicht kann! Das gilt für die Schule wie für die Uni – man
kann nur das tun, was man eben tun kann. Man stößt an seine Grenzen
und ja, man kann und sollte über sich hinauswachsen, aber man sollte
dafür keinen zu hohen Preis zahlen müssen und sich nicht wertlos
fühlen müssen.
Und
noch vor all diesen Dingen sollten diese bescheuerten Erwartungen
einem nicht den Spaß an der Sache verderben.
Wenn
man etwas will, wirklich will, aus vollem Herzen, dann wird es auch
was. Das wird aber ganz sicher nicht mit Zwang und Druck erreicht,
niemals.
Ein
bisschen Druck ist okay, um zu spüren, dass man etwas tun muss. Aber
Fehler und Schwäche und Pausen machen zu müssen und Dinge nicht auf
Anhieb zu können und sich auch mal Ruhe zu gönnen, das Alles sollte
verdammt nochmal auch okay sein!
Wir
leben nicht, um zu funktionieren, um irgendwelchen Erwartungen zu
entsprechen und Aufgaben zu erfüllen.
Wir
leben, um zu sein, wer wir sind, um das herauszufinden, um uns selbst
und andere kennenzulernen, um Dinge zu lernen, Erfahrungen zu
sammeln, um auch mal inne zu halten und einfach nur tief Luft zu
holen. Wir leben so, wie wir es möchten.
Und
verdammt nochmal, ich werde auch so studieren, wie ich es möchte!
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