Dear Sweet Heart.
Ich
wusste schon seit einer Weile, dass ich ausziehen wollte. Es war
einfach ein tief in mir verwurzeltes Bedürfnis. Es war nicht
unbedingt so, dass ich von Zuhause ganz unbedingt weg wollte. Ich
habe mich dort gut gefühlt und hatte immer meine Familie um mich. Es
war schön dort. Es ist noch immer schön dort in Bremen, meiner
Heimatstadt.
Aber
irgendwie habe ich einfach gefühlt, dass dort nicht meine Zukunft
liegt. Seit ich wusste, dass ich sehr gerne in einem Verlag als
Lektorin oder Übersetzerin oder zumindest was in die Richtung
arbeiten würde, stand für mich schon immer fest, dass ich wegziehen
würde.
Dass
ich das jemals wirklich tun würde...
Ich
glaube, ich habe das noch immer nicht richtig begriffen. Es war schon
im Oktober, also vor über drei, fast vier Monaten. Wie kann ich das
nach wie vor nicht richtig realisiert haben?
Wobei,
ob realisieren für das, was ich fühle, überhaupt das richtige Wort
ist... Ich habe ja schon irgendwie erkannt, dass in Frankfurt zu
leben und zu studieren jetzt meine Realität ist und ich bin daran
auch schon seit einer ganzen Weile gewöhnt, aber... Es ist
irgendwie, als könnte ich nicht die ganze Tragweite dieser
Entscheidung erfassen, als wäre es mir nicht wirklich möglich zu
verstehen, was das Alles eigentlich wirklich bedeutet.
Vielleicht
werde ich das nie. Vielleicht werde ich es nie ganz verstehen.
Vielleicht werde ich nie irgendetwas ganz verstehen. Ich denke, das
geht gar nicht. Man versteht immer nur Teile von etwas, aber nie das
Ganze, ein Teil bleibt immer im Verborgenen, im Schatten.
Auch
als ich über Weihnachten wieder in meiner Heimat Bremen war, konnte
ich nicht wirklich nachvollziehen, was los war. Ich kann es einfach
nicht begreifen. Es ist so abstrakt, so seltsam. All das, was ich in
gewisser Weise zurückgelassen habe...
Es
ist noch alles da. Meine Familie ist noch da. Der Kater ist noch da.
Das Haus, in dem ich so lange gelebt habe, ist noch da. Mein Zimmer
ist noch da. Es ist alles noch da.
Nichts
hat sich verändert. Und gleichzeitig ist einfach alles anders. Ich
habe mich verändert. Fast ohne es zu bemerken, habe ich mich
verändert und so vieles einfach so hinter mir gelassen.
Ich
habe es geschafft, meine Familie loszulassen. Natürlich sind sie
alle noch da und ich brauche und liebe sie auch und das alles,
aber... Sie sind nicht mehr ein solch großer Bestandteil meines
Alltagslebens. Sie sind fast gar kein Bestandteil meines
Alltagslebens mehr, solange ich in Frankfurt bin. Frankfurt, das
jetzt mein Zuhause ist, mein zweites Zuhause.
Es
ist so seltsam, wenn ich daran denke, wie ich überhaupt in Frankfurt
gelandet bin. Was alles passieren musste, damit ich heute, jetzt
gerade in Frankfurt und nicht irgendwo anders, vielleicht sogar noch
in Bremen, bin. Es ist soweit weg irgendwie und doch weiß ich das
Alles noch ganz genau und es ist fast, als wäre es noch gar nicht
passiert, als würde es erst passieren oder als wäre es eine
Geschichte, die ich gelesen habe...
Ich
kann das nicht richtig beschreiben.
Irgendwie
denke ich ja schon, dass es sowas wie Schicksal gewesen ist, dass
mich letztendlich hier nach Frankfurt gebracht hat. Es gibt Dinge,
die passiert sind, die ich mir nicht anders erklären kann und wenn
ich erst daran denke, wie all diese Dinge zusammenhängen. Es können
nicht bloß Zufälle sein. Das ist mir irgendwie zu verrückt,
verrückter als an Schicksal zu glauben.
Ich
habe wirklich das Gefühl, hier in Frankfurt sein zu müssen. Ich
weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich bereue
es kein bisschen. Hier bin ich meinen Träumen, meinen Zielen so viel
näher und es ist zwar immer noch ein harter Weg und es liegt viel
Arbeit vor mir, aber ich glaube an mich selbst. Sonst wäre ich nicht
hier. Wenn ich nicht an mich selbst glauben würde, wäre ich niemals
hier.
Trotzdem
ist es seltsam. Es ist alles so seltsam!
Manchmal
habe ich das Gefühl, ich wäre nach wie vor das unsichere Mädchen,
das sich nicht traut irgendetwas alleine zu tun, weil sie sich viel
zu sehr auf andere verlässt und von anderen abhängig macht. Zum
Teil bin ich das auch immer noch und werde es immer bleiben, weil es
ein Teil von mir ist.
Aber
ich bin so sehr gewachsen, über mich hinausgewachsen, bin so viel
stärker geworden! Ich habe mich von meiner Unsicherheit nicht
beherrschen lassen. Ich habe Erfahrungen gemacht, die mich gelehrt
haben, dass ich mich letztendlich eigentlich nur auf mich selbst
verlassen kann, wie hart das auch klingt. Aber darauf baut eine ganze
Menge meiner Verhaltens- und Gefühlsweisen auf. Es ist das, was es
mir möglich gemacht hat, jetzt hier in Frankfurt zu sein und meinen
Träumen näher zu kommen.
Dennoch
ist da Angst. Wie richtig sich das Ganze auch anfühlt, wie richtig
es auch ist, ich habe trotzdem Angst. Ich habe Angst vor so vielem!
Vor allem eigentlich. Ich bin vielleicht stärker, aber ich bin immer
noch schwach. Im Herzen bin ich schwach. Und ja, diese Schwäche ist
auch meine Stärke und ich weiß, wie ich mit ihr umzugehen habe,
aber manchmal komme ich nicht dagegen an und ich fürchte einfach,
dass es Dinge gibt, die ich selbst mit meiner Stärke, meiner
Willenskraft, meinem Glauben an mich selbst nicht besiegen kann.
Ein
Teil von mir, der mal sehr groß war und es immer noch in gewisser
Weise ist, liebt die Sicherheit mehr als alles andere. Ich habe
gelernt, mich auf Risiken einzulassen und ich weiß, dass sie gut und
wichtig und auch toll sind, aber hin und wieder überkommt mich
dieses drückende Gefühl, mich zu verstecken, mich von der Außenwelt
abzuschotten, sodass ich mit nichts konfrontiert werden kann, dass
mich in irgendeiner Weise überfordert. Da ist noch immer dieses
verschreckte, kleine Kind in mir.
Dieses
Kind möchte zurück nach Bremen. Es wollte dort bleiben, als ich
über Weihnachten da war. Es wollte nicht weg. Es hat sich gut,
umsorgt, behütet dort gefühlt. Dort war es in Sicherheit. Dort gab
es kaum Dinge aus dieser furchtbaren Erwachsenenwelt, mit denen es
klar kommen musste.
Aber
selbst dieses Kind weiß, dass es sich mit diesen Dingen
auseinandersetzen muss, dass es nicht davonlaufen kann und das will
es auch gar nicht. Das Kind mochte auch stark, in gewisser Weise
erwachsen sein, die Sicherheit hinter sich lassen und sich ins
Abenteuer begeben.
Letztendlich
hat mir die Zeit, die ich wieder Zuhause in Bremen war, gezeigt, dass
es auch mein Zuhause ist. Natürlich ist es mein Zuhause. Meine ganze
Familie ist dort. Ich habe dort so gut wie mein ganzes Leben
verbracht! Und in gewisser Weise gehöre ich dort auch hin, immer
noch. Nicht nur dieser kindliche Teil von mir, auch alles andere. Es
ist ein Ort, an den ich immer wieder zurückkehren kann. Ein Ort, wo
ich mit offenen Armen empfangen werde. Ein vertrauter Ort.
Doch
hier in Frankfurt ist auch mein Zuhause. Hier habe ich Freunde. Hier
habe ich Aufgaben. Hier habe ich Zukunftspläne. Hier habe ich mein
eigenes Leben, meine ganz eigene Welt, die ich mir quasi ganz
alleine, bei bloßen Vorstellungen angefangen, aufgebaut habe. Hier
will ich sein und hier gehöre ich auch irgendwie hin, vielleicht
nicht für immer. Aber was ist schon für immer?
Ich
weiß nicht, was noch passieren wird, wie die Dinge sich entwickeln,
was das Schicksal oder was auch immer das ist, noch so für mich
bereit hält, was mein Leben noch so mit mir vorhat und ich mit
meinem Leben.
Aber
ich weiß, dass es zwei Orte, zwei verschiedene Menschengruppen gibt,
bei denen ich sehr gerne bin und sein will. Ich weiß, dass es Unsinn
ist, nur einen Ort sein Zuhause zu nennen. Sowieso ist Zuhause kein
Ort. Zuhause sind Menschen. Zuhause ist das Gefühl, etwas zu haben,
an das man zurückkehren kann, wo man sich wohlfühlt und wo Leute
sind, die einem in diesem Gefühl bestärken und dieses Zuhause zu
etwas schönem machen.
Dieses
Gefühl, zwei Zuhause zu haben, wie seltsam das auch irgendwie ist,
wie verwirrend und fast widersprüchlich, ist wunderschön.
Ich
hoffe wirklich, dass es auch in Zukunft so bleiben wird und mir meine
Heimat Bremen nicht immer fremder und fremder werden wird. Das wäre
sehr schade, denn ich mag Bremen und vor allem meine Familie und die
eine Freundin, die ich dort habe, wirklich sehr gerne und es hängt
einfach so ein großer und wichtiger Teil meines Lebens, meiner
Erfahrungen an diesem Ort, dass ich einfach nicht will, dass ich mich
irgendwann vollständig davon löse. Ich glaube auch nicht wirklich,
dass das überhaupt geht.
Auf
der anderen Seite möchte ich mein neues Zuhause noch mehr zu meinem
Zuhause machen, vor allem in dem ich Freundschaften vertiefe. Es
kommt mir so vor, als würde mir das irgendwie schrecklich schwer
fallen, aber gut, das war eigentlich schon immer so. Na ja, vieles
kommt einfach auch mit der Zeit. Das gilt auch für meine Träume und
Ziele. Zeit. Nichts funktioniert von Jetzt auf Gleich, auch wenn
einem rückblickend vieles so erscheinen mag.
Ich
bin wirklich gespannt, wie mein Leben weitergehen wird, ob es sich
weiter so wundersam fügen wird, ob ich schaffen werde, was ich mir
vornehme, wie ich mich verändern werde – alles.
Was
auch sein wird, ich denke, ich kann sagen, dass ich mich darauf freue
und alles geben werde oder zumindest so viel wie ich kann.
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