Ordentlich
liegen sie da, einsortiert, jeder an seinem Platz. So sollte es sein.
So sollte es immer sein. Simpel, nicht unbedingt Schwarz und Weiß,
aber ruhig Rosa und Blau, natürlich in verschiedenen Farbtönen,
verschiedenen Nuancen, doch immer Rosa und Blau. Denn so sind sie:
Rosa und Blau und niemals eine andere Farbe, niemals eine Variation,
niemals Lila oder Grün oder Orange oder jede andere Farbe, die einem
einfällt. Nein, es gibt nur Rosa und Blau, alle anderen Farben
existieren nicht.
Und
sie sind natürlich so von Geburt an. Rosa oder Blau kommen sie auf
die Welt, niemals anders. Denn es gibt ja keine anderen Farben und
selbst wenn, dann sind es doch nur ein paar Wenige, nicht? Die können
ruhig ignoriert werden. Die zählen ja nicht. Die Mehrheit ist Rosa
oder Blau. So ist es und so wird es immer sein.
So
war es auch von Anfang an, nicht? Sie kamen mit einem bestimmten
Aussehen, einer bestimmten ‚Funktion‘ zur Welt und das ist
wichtig. Das müssen sie wissen und jeder andere muss es wissen und
es muss deutlich zu erkennbar sein. Weil sonst… Ja, was sonst?
Sonst wäre alles Chaos? Ordnung. Oh ja, die Ordnung. Die ach so
wichtige Ordnung. Und das Vorbereiten, das Eingliedern, die
‚Funktion‘ erfüllen. Dafür sind sie da, nicht? Sie müssen Rosa
oder Blau sein, sonst macht nichts mehr einen Sinn.
Also
werden sie eingepfercht in ihre Schubladen, schön sortiert.
Vielleicht dürfen sie mal die Schublade wechseln, aber auch nur ein
einziges Mal. Sonst wird es zu chaotisch, zu verwirrend, zu komplex.
Und niemand will das. Wir brauchen doch alle Ordnung und alles muss
einen Namen haben und definiert werden.
Oh
ja, das ist alles so so wichtig. Es ist wichtiger als alles andere.
Wir sind schließlich darauf angewiesen. Wir müssen wissen, woran
wir sind. Es muss alles leicht einzuordnen, leicht zu benennen,
leicht zu verstehen sein. Also reduzieren wir es auf das Mininum:
Zwei – Rosa und Blau.
Diese
zwei Farben, diese zwei Kategorien, diese zwei… Formen (?) des
Menschseins, Mann und Frau. Was sonst sollte es da geben, nicht?
Wieso sollte es kompliziert sein? Menschen haben diese zwei
Hauptgeschlechtsorgane und darin lassen sie sich einordnen. Warum
nicht? Wo sollte es da ein Problem geben? Warum sollten wir uns nicht
auf unsere Hauptgeschlechtsorgane reduzieren und in zwei Schubladen
einordnen? Die zwei Schubladen reichen doch. Da ist doch genug Platz.
Rosa und Blau sind doch genug Farben.
Was
ist schon Individualität? Was ist schon Persönlichkeit? Es muss
doch einfach sein und ordentlich. Es muss doch Sinn machen und für
jeden verständlich sein. Komplexität, kleine Details, feine
Unterschiede und Andersartigkeiten, andere Denkmuster und abweichende
Gefühle – niemand braucht das. Es existiert doch gar nicht, nichts
davon. Nein, wir sind nur unsere Oberfläche, nur unsere
Hauptgeschlechtsteile, die uns Rosa oder Blau machen, die uns zu
einem Mann oder einer Frau machen.
Oh
und natürlich, du kannst ja einmal wechseln, kannst von Rosa zu Blau
werden, von Blau zu Rosa. Aber nur einmal und nur zwischen Rosa und
Blau. Denn andere Farben gibt es nicht. Was sollte da auch sein außer
Rosa und Blau und ihre Nuancen? Mischungen aus diesen beiden Farben?
Komplett andere Farben? Nein, es geht doch nur um dein
Hauptgeschlechtsteil. Das bestimmt alles.
Wir
sind schließlich Tiere, nicht? Menschen sind ja auch nur Tiere, nur
Säugetiere. Wir wollen uns die ganze Zeit nur reproduzieren, nichts
als Sex, nichts als Partnersuche und Kinder großziehen. Nur daraus
besteht unser Leben, nicht? Jeder will das doch – Sex und einen
Partner und eine Familie. So sind wir Menschen und nur so. Das ist
ordentlich, vernünftig, logisch, verständlich.
Wie,
dir geht es anders? Wie, du willst dich nicht in dieses System
einfügen, in welcher Form auch immer? Tja, dann hast du Pech gehabt,
weil du dann einfach nicht existierst.
Es
gibt kein Dazwischen, kein Beides, kein Nichts oder Alles, keine
anderen Farben, keine Details und Individualitäten. Niemand ist in
irgendeiner Form anders, wir sind alle gleich. Wir sind alle die
gleichen Tiere mit ihren zwei unterschiedlichen
Hauptgeschlechtsorganen, die unser Leben bestimmen. Nicht?
Ich
überdramatisiere nicht. Ich mache es einfach, mache es eindeutig.
Sonst wäre doch alles zu schwierig, zu komplex. Das mag doch keiner.
Ignorieren wir einfach all die anderen Ebenen, all die tiefer
gehenden Gedanken, all die Gefühle, die sich nicht mit einem
einzigen Wort beschreiben lassen. Ignorieren wir doch den Rest des
Schrankes, abgesehen von den Rosa- und Blau-Schubladen. Ignorieren
wir diese freien, namenlosen Fächer und anderen Schubladen. Die
braucht doch keiner. Zwei Schubladen reichen vollkommen. Mehr braucht
der Schrank Mensch nicht.
So
fühlt es sich an. So klingt es oftmals, zumindest für mich, wenn
von Mann und Frau gesprochen wird. Ich verstehe den Wunsch nach
Ordnung, irgendwo. Aber nein, irgendwie nicht einmal das. Warum?
Warum Mann und Frau? Warum nicht Mensch und Mensch? Manche Menschen
haben dieses Geschlechtsorgan, manche ein anderes. Manche fühlen
sich so und manche fühlen sich so. Manche haben diese Ansicht und
manche eine andere. Manche denken so und manche denken so.
Da
werden immer Schubladen sein, in die Mensch hineingepresst wird,
natürlich. Da werden sogar immer Schubladen sein, in die Mensch
selber zu passen versucht. Weil es einfach ist und ein Gefühl von
Zusammengehörigkeit gibt und es ist ordentlich. Schubladen,
Kategorien, Label – Sie sind nicht komplett sinnlos.
Aber
meistens machen sie nur bedingt Sinn. Jeder ist mehr als die
Schublade, in die Mensch von anderen Menschen gepresst wird. Niemand
ist nur eine einzige Kategorie, nur eine Schublade. Manche mögen
sehr stark in eine Schublade gehören und sich sehr stark damit
identifizieren, aber selbst dann sind sie nicht die Schublade. Sie
sind immer mehr. Jeder einzelne von uns ist immer mehr.
Wir
sind alle komplexer, haben viele Eigenschaften, Schwächen, Stärken,
Talente, Interessen. Das Alles macht uns aus. Das Alles ist, was wir
sind. Wir sind nicht unser Geschlecht und schon gar nicht unser
Geschlechtsorgan. Wir sind nicht nur Rosa oder Blau. Wir können Rosa
oder Blau sein, natürlich. Aber wir können auch jede andere Farbe
sein. Wir sind keine Tiere und selbst Tiere sind nicht nur Blau und
Rosa.
Es
gibt so so viele Farben. Wieso sollten wir nur zwei davon sein? Wieso
sollte es nur diese zwei Schubladen geben? Wieso sollte unser
Hauptgeschlechtsorgan ein solch großer Faktor in unserem Leben sein?
Es
spielt doch keine Rolle. Es ist doch völlig egal, was für ein
Geschlechtsorgan du besitzt oder haben möchtest. Für die
Gesellschaft, für alle anderen ist es egal. Für dich selber ist es
wichtig. Aber sonst sind wir vor allem eines: Menschen. Wir sind alle
Menschen mit unseren menschlichen Gefühlen und Gedanken. Darauf
kommt es an – aufs Menschlich Sein. Menschlich und bunt und jeder
so, wie er eben ist, mit allem.
Ich
bin ein Mensch. Ein oftmals widersprüchlicher Mensch mit nicht
selten viel zu vielen Gefühlen und vor allem viel zu vielen Ängsten.
Ich bin nicht mein Geschlechtsorgan. Ich bin auch kein Einhorn, auch
wenn das bestimmt cool wäre, wobei sicherlich auch Einhörner ihre
Probleme haben.
Ich
bin ich. Und für mich selber brauche ich kein Label, keine
Schublade, schon gar nicht eine über mein Geschlecht. Ja, es gibt
Label mit denen ich mich eher identifiziere als mit anderen und ich
bin froh, dass so viele Menschen da draußen sind, die über ihre
Labels, ihre Erfahrungen berichten, sodass andere erkennen können,
dass es nicht nur Rosa und Blau gibt, sondern viele viele andere
Schubladen, freie Fächer, Kategorien oder wie auch immer Mensch es
nennen möchte.
Wir
müssen uns nicht einordnen, unterordnen, verbiegen lassen. Wir sind
frei, zumindest was unsere Gedanken und Gefühle betrifft. Wir sind
wir, nicht mehr und nicht weniger.
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